Monolog

Dies ist der allererste Text, den ich jemals geschrieben habe. Also wenn man von Schulaufsätzen, Tagebüchern, seitenlangen Briefen und einem Kinderbuch über ‚Purzel, der kleine Roboter‘ einmal absieht. Ich wollte ihn hier einfach in die Sammlung aufnehmen, weil er dazugehört, den Anfang markiert und damit bedeutsam war. Bitte seid nett zu dem Text, er ist sehr jung und grün hinter den Ohren. Ich war gerade 16 geworden, hatte viel von Wolfgang Borchert gelesen (sehr viel geht bei Borchert ja gar nicht, aber man merkt es dem Stil deutlich an), einen wirklich großartigen Religionslehrer (Herr Hilz-Merthan) und in Jugoslawien war Krieg. Ein kleines bisschen passt der Text deshalb auch zum heutigen Tag.

Monolog (mit einem Schwein)

Das Schwein saß in einer Ecke.
Ich saß ihm gegenüber, dem Schwein, und beobachtete es, wie es da in seiner Ecke saß, eine ganze Weile schon beobachtete ich es.
Da saß es in seiner Ecke und ich redete mit ihm. Ich redete mit dem Schwein, erzählte ihm, wie entsetzlich dreckig es mir ginge, wie ich litt, erzählte ihm mein Leben, mein ganzes langes Leben.
Aber es hörte mir nicht zu, das Schwein, wollte mir einfach nicht zuhören.
Fast wie Gott, dachte ich, fast wie Gott, hört einfach nicht hin, wenn man mit ihm redet, hört nicht hin, wenn man ihn braucht.
Und da sah ich, daß das Schwein gar keine Ohren mehr hatte, saß da, in seiner Ecke, und hatte keine Ohren mehr.
Und es sagte auch nichts, das Schwein, stumm saß es in seiner Ecke, quiekte nicht, nickte nicht, gab mir keine Antwort.
Fast wie Gott, dachte ich, fast wie Gott, gibt nie Antwort, wenn es nötig wäre, weiß keine Antwort.
Das Schwein saß in seiner Ecke und staunend erkannte ich, daß es keinen Mund mehr hatte, war weg, der Mund.
Ich sah dem Schwein in die Augen, mitten in die Augen. „Hallo!“, rief ich, „Hallo!“ sagte ich mit meinen Augen, „Siehst du mich, Schwein, in deiner Ecke?“, fragte ich.
Es blinzelte nicht, das Schwein.
Es saß in seiner Ecke und schaute durch mich hindurch, einfach so, als wäre ich nicht da, sah es hindurch durch mich.
Fast wie Gott, dachte ich, fast wie Gott, sieht einfach nicht hin, wenn Menschen in Not sind,
sieht einfach durch sie durch, ist ja auch viel einfacher.
Das Schwein hatte jetzt keine Augen mehr, es saß da, in seiner Ecke, ohne Ohren, ohne Mund, ohne Augen.
„Schwein, riechst du meine Leiden vielleicht, riechst du sie etwa?“
Aber das Schwein, in seiner Ecke, hatte schon keine Nase mehr, war weg, die Nase.
Ich sah es an, das Schwein, beobachtete das Schwein, wie es in seiner Ecke saß, schon eine ganze Weile lang.
Ich blickte jetzt auf seine Beine, auf die Beine des Schweines in seiner Ecke.
„Willst du damit etwa Menschen retten?“, lachte ich das Schwein aus, „Willst du damit die Juden vor einem verrückten Hitler beschützen, die Japaner vor der Atombombe, die Bosnier vor den Panzern?“
Fast wie Gott, dachte ich, fast wie Gott, er rettet auch niemanden, denn er will niemanden retten, er will ja gar nicht.
Das Schwein saß in seiner Ecke und hatte keine Beine mehr, hatte keine Ohren, keinen Mund, keine Augen, keine Nase und keine Beine mehr, dort saß es in seiner Ecke, aber es hatte einen fetten Wanst, einen ganz fetten Wanst.
„Willst du nicht die Menschen damit füttern, die Menschen, die zu hunderten, tausenden sterben? Die jeden Tag sterben, weil sie Hunger haben? Willst du sie nicht füttern mit Deinem Speck, sie am Leben erhalten?“
Aber das Schwein schrumpfte schon, in seiner Ecke, der Körper schrumpfte zusammen, wurde immer dünner.
„Aber willst du nicht wenigstens die Kinder retten, die Kinder, die kleinen unschuldigen Kinder, die jeden Tag, jede Stunde, jede Minute sterben, willst du nicht wenigstens sie retten?“, schrie ich es an, das Schwein in seiner Ecke.
Fast wie Gott, schrie es in mir, fast wie Gott.
Aber es war schon weg, das Schwein in seiner Ecke, war schon ganz weg.
Keine Ohren, kein Mund, keine Augen, keine Nase, keine Beine, kein Wanst mehr, kein Schwein mehr.
Aber es fehlte nicht einmal mehr, das Schwein, fehlte nicht in seiner Ecke.
Die Ecke war da, war da wie immer, ich war da, das Schwein war weg.
Aber es fehlte nicht einmal.
 


Oktober 1995

3 Comments for “Monolog”

Sprachspielerin

says:

Ich denke, man kann das sehr gut verstehen, wenn man sich ein klein wenig Mühe gibt und die intellektuellen Fähigkeiten ausreichen, ist eigentlich nicht so schwer, eine simple Parabel…

Juliet

says:

Darf ich den Text eventuell für ein Vorsprechen nehmen ? Eine Antwort wäre lieb.

Liebe Grüße
Juliet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert