Symmetrie

Ich war schon immer symmetrieverliebt. Kinder sind das ja meistens, können der Schönheit der Asymmetrie nichts abgewinnen, nur: bei mir ist das so geblieben. Mit der Liebe zur Symmetrie verbindet sich bei mir die Liebe zu geraden Zahlen, ungerade mag ich nicht, sie erscheinen mir nicht komplett, da fehlt etwas, sie sind unschön asymmetrisch, fehlerbehaftet, angenagt.

Man kann sich denken, dass ich mich auf 2008 freue. Acht ist eine schöne gerade Zahl nach der scheußlichen sieben und noch dazu eine symmetrische Ziffer, spiegelgleich, oben wie unten, rechts wie links, das gefällt mir sehr, 2008 muss einfach gut werden.

Für mich kommt damit das Jahr der Entscheidungen, der großen Wendungen und Veränderungen, nehme ich an. Ich werde mein Studium beenden, 18 Prüfungen liegen in den nächsten Monaten vor mir (schon wieder diese acht) und im Juli bin ich fertig. Wie es mir in den nächsten Monaten ergeht, was dann passiert, wie ich mich entscheide, wie über mich entschieden wird, das wird auch entscheidend für mein Leben sein.

Ich fürchte mich ein bisschen, aber schon das ungerade 2007 war nicht schlecht, da muss 2008 einfach gut werden. Und 2007 wird mir sicher in guter Erinnerung bleiben, es wird für immer das Jahr sein, in dem ich wieder angefangen habe zu schreiben, das Jahr in dem ich wiederlernte, wiedererkannte, wer ich bin, was ich will, was das alles soll, in jedem Fall ein gutes Jahr.

Und ein Zufall. Wenn ich nicht meine Prüfungen verschoben hätte, dann wäre ich jetzt schon mit dem Studium fertig. Wenn ich nicht meine Prüfungen verschoben hätte, dann gäbe es aber auch dieses Blog nicht, dann schriebe ich nicht, dann wäre alles anders, weniger gut, dessen bin ich mir sicher.

Ich wünsche allen einen guten Rutsch und ein Jahr 2008 voller guter Entscheidungen, Erfolge und Glück! Auf ein symmetrisch-schönes Neues Jahr!

Wassermüde

Wassermüde

Kennt ihr das, wenn ihr einem unbekannten Wort begegnet, ihr darüber nachdenkt, es nachfragt, nachschlagt, nachlest, um herauszufinden, was es bedeutet? Wenn ihr es dann wisst, das Wort wiederlest, bis euch das Wort selbstverständlich erscheint? Und kennt ihr auch das, wenn es dann noch einmal irgendwo steht und dieses Wort plötzlich das Sonderbare, das Wundersame des ersten Mals wiedergewinnt und euch fremd wird, angenehm fremd, so dass ihr wieder darüber grübeln, euch wundern könnt, das Wissen im Hinterkopf, aber doch so, als wüsstet ihr nichts?

So erging es mir mit dem mittelhochdeutschen Wort wazzermüede, einmal im Kommentar des Buchs die Bedeutung nachgelesen, dann immer wieder drüberhingelesen, ohne Stocken und dann doch einmal innegehalten dabei und mich wieder gewundert und gefragt und gefreut an diesem sonderbaren Wort.

Was könnte wassermüde eigentlich heißen? Wenn man sehr viel getrunken hat, so viel dass der Bauch schon gluckert bei jeder Bewegung oder wenn man ihn anstupst, so viel, dass man beim besten Willen nicht noch mehr Wasser trinken könnte? Oder heißt wassermüde einfach, dass man doch lieber zu Wein, Bier, Sekt oder Schnaps statt Wasser übergehen möchte am Abend? Und was bedeutet es, wenn man sich daran erinnert, dass auch Menschen zu einem Großteil aus Wasser bestehen? Sind Misanthropen einfach nur wassermüde, nicht menschenmüde? Und kann man dann das Fremdgehen rechtfertigen, mit diesem Wort und es wäre einem eben einfach nach einem Glas frischen Wassers gewesen, das müsse man doch verstehen können…

Und gibt es dann vielleicht auch luftmüde? Können Stewardessen unvermutet und unvorbereitet von einer Luftmüdigkeit ergriffen werden und dann einfach nur noch am Boden (oder zumindest auf dem Wasser) bleiben wollen? Oder bezeichnet luftmüde gar den Überdruss am Leben, die Unlust zu atmen, die Lebensmüdigkeit schlechthin?

Kann man dann auch landmüde sein? Vielleicht im Sinne von Tocotronic: Aber hier leben, nein danke, einer Ablehnung von jeglichem Nationalismus, eine Deutschlandmüdigkeit, der ich mich jederzeit anschließen würde, ja, ich bin landmüde.

Und dann fallen mir auch noch weitere Komposita mit -müde ein, die ganz gut auf mich passen: weihnachtsmüde etwa, aber das ist jetzt ja zum Glück abgehakt (und mancher kann in diesem Zusammenhang vielleicht auch von Essmüdigkeit berichten). Wintermüde und jahresmüde bin ich ebenfalls, aber es geht ja auch bald zu Ende, nur noch ein Weilchen… Das einzige, was ich wohl nie werde: sprachmüde, lesmüde, schreibmüde, wortmüde und kussmüde. Und schlafmüde leider auch nicht, ich kann so viel schlafen, wie ich will, es ginge immer noch länger, immer noch mehr.

Und was hat es nun mit wazzermüede tatsächlich auf sich? Wassermüde sind vor allem die Recken aus dem Heldenepos Kudrun immer wieder, wenn sie längere Seefahrten hinter sich gebracht haben (meist, um eine Braut zu erobern, zu entführen, zu erkämpfen), wenn sie also von der Schiffahrt erschöpft sind. Ganz einfach, ganz klar, ganz unromantisch. Da finde ich meine Erklärungen doch schöner.
Und wer mag, kann sich noch das Video zum wunderbar landmüden Song von Tocotronic ansehen:


Tocotronic – Aber Hier Leben Nein Danke – MyVideo

(und nein, die Platte heißt nicht ‚ERNUNFT DARF NIEMALS SIEGEN‘, obwohl das da steht…)

Alltagspoesie

Seit fast zwei Wochen findet sich an unserer Haustür folgendes Graffito:

 Love1.jpg

Dies mag ja mit dem heutigen Fest der Liebe irgendwie zusammenhängen und dieses Wort ist ja immerhin noch angenehmer als irgendwelche Beschimpfungen, dennoch finde ich Farbe und Ausführung ästhetisch mangelhaft. Ich habe überhaupt nichts gegen Graffiti, aber dann bitte wenigstens gut gemachte und nicht nur so etwas in hässlichem Grün und an jeder Häuserecke, nein (dunkleres tannengrün wäre in der Weihnachtszeit doch zumindest angebrachter gewesen).

Mir gefällt in diesem Sinne der Stempel, der sich ebenfalls an unserem Haus befindet, sehr gut und auch die ‚Frohe Botschaft‘ scheint mir hier besser getroffen zu sein:

 ZumMeer_klein1.jpg

Schön wär’s ja, immerhin weist der Pfeil tatsächlich die Richtung zum Wasser, wenn’s auch nur die Isar ist.

Apropos möchte ich auch noch einige Beispiele für Alltagspoesie an meiner Gastherme zeigen. Hier erstmal etwas empfindsames (mit Hase):

 MeinHerz1.jpg

Hier noch ein fazitähnlicher Ausspruch, sozusagen mein Wort zu diesem Jahr, nahe der Selbsterkenntnis:

 Tropf1.jpg

Und letztendlich zumindest noch etwas ein wenig Weihnachtliches vom Kühlschrank:

 Milch1.jpg

Himlagott‚ war sehr leckerer Tee aus Schweden, der so rosa schmeckte wie die Packung aussieht, aber leider schon lange aus ist. Und wenn sowohl im Kühlschrank als auch im Himmel immer Milch vorrätig wäre, dann wäre das ja nicht das Schlechteste (wenn ich mich recht entsinne, dann stammt dieser Satz von Katl). In diesem Sinne: ich wünsche allen nochmal ein schönes Fest, möge es euch rosarot sein, und wer sich noch weiter besinnen mag, kann das ja mal mit meinem Gebet oder der Liebesgeschichte Organon versuchen (als Text oder Podcast), die zumindest in der Kirche spielt.

Ich lebte auf dem Mond

Heute bin ich bei urbandesire (der häufig gute Musiktips hat) auf etwas sehr Großartiges gestoßen: das Video zu I lived on the Moon der französischen Postrock-Band Kwoon, gezeichnet von Yannick Puig.

Bei meinen Nachforschungen habe ich einerseits entdeckt, dass die MySpace-Seite von Kwoon einen Besuch wert ist, da sie zwei weitere wundervolle Songs zum Anhören bietet. Außerdem habe ich die Homepage von Yannick Puig begeistert angesehen, auf einer extra Seite zum Video I lived on the moon wird nicht nur der Inhalt des Videos erklärt, es gibt nicht nur den Text zum Song, sondern auch das Video in bildschirmfüllender Größe und Qualität zum Herunterladen.

Dies ist unbedingt anzuraten, denn so entdeckt man noch mehr wunderschöne Einzelheiten, etwa die drei Schwänze des Äffchens und so weiter, es lohnt sich also wirklich, das Video in groß anzusehen! Meine Lieblingsstelle im Video ist ja, wenn der Baum dem Jungen zuwinkt, ihn klingend ruft und der Junge zu ihm trappelt. Auf Yanims Seite kann man außerdem noch das liebevoll gezeichnete Schwimmen der Quallen und Fliegen des Fischs in kleinen Videoschnippseln genauer ansehen. Ebenso zu empfehlen ist außerdem die Seite zu Yannick Puigs reizendem Kurzfilm Krapooyo, den man dort komplett ansehen kann.

Ihr seht schon, ich bin am Schwärmen, zumindest mich machen Video und Kurzfilm zumindest heute völlig glücklich, vielleicht geht es euch ja auch so. In diesem Sinne wünsche ich Euch ein großartiges, märchenhaftes und träumerisches Weihnachten! Macht das beste draus!

Schublade

Es liegt in meinem Schubfach
ein Brief an Dich,
wie ihn jeder liegen hat,
der jemals liebte.

Der Brief liegt lang und still
und meistens gut,
er zuckt nur manchmal,
wälzt sich dann
in meinem Blut.

Nur selten springt
es auf, das Schubfach,
enthüllt mir Schmerz,
ich lese dann
den roten Brief an Dich.

Dann wieg ich ihn
in meinen Händen
und will den Brief
zu Dir schon schicken,
doch leg ihn dann,
aus meinen Händen
zurück, ins Schubfach,
wo er liegt,
meist still und gut.

Bildung als Liebesakt

Alban Nikolai Herbst hat gestern anlässlich eines Bibelzitats in einem Gedicht eines Teilnehmers von ANH’s Werkstatt etwas so Schönes über Bildung (bzw. deren Verarbeitung in Literatur) geschrieben, dass ich dieses Zitat unbedingt in meinem Blog haben muss:

Gehen Sie mit Bildungsinhalten spielerisch um; sowie sie etwas Quälerisches bekommen, wird es kontra-produktiv. G e n i e ß e n Sie, was Sie erfahren; […] Man muß den "Dingen" nur nah sein, man darf sie nicht wider Willen verbiegen, sondern muß sie verführen, dann geben sie sich einem hin. Und schaffen im selben Moment Erkenntnis. Bildung ist ein Liebesakt.