Simone und so

Es begann nicht mit ihr, sie kam später, es begann mit Sartre (natürlich). Jean-Paul Sartres Bücher standen im Bücherschrank meiner Eltern und ich begann mit 15, sie zu lesen. Statt in den Ballettunterricht zu gehen, setzte ich mich also fortan in Cafés, las Sartre und trank meinen ersten Kaffee, der mir scheußlich schmeckte, aber das gehörte dazu, undenkbar war es, Sarte ohne Kaffee zu lesen. Ich las die Zeit der Reife und den Aufschub, die ersten beiden Bände der Tetralogie ‚Die Wege der Freiheit‘, schon der Titel eine einzige Verlockung. Und eine Sartre-Biographie stand auch noch im elterlichen Bücherschrank (sie stammte aus einer Zeit, als er noch nicht gestorben war).

Spätestens da muss mir auch Simone de Beauvoir begegnet sein (mit vollem Namen übrigens Simone Lucie-Ernestine-Marie-Bertrand de Beauvoir), die Frau an seiner Seite, die heute 100. Geburtstag hätte, läge sie nicht in Paris begraben, gemeinsam in einem Grab mit Jean-Paul auf dem Cimetière du Montparnasse (den ich natürlich später einmal besuchen musste).

Wenn ich mit 15, mit 16, 17, 18 irgendein Vorbild hatte, dann war sie es. Vielleicht wäre ich lieber wie Sartre selbst ‚gewesen‘, dessen Bücher ich eines nach dem anderen verschlang, den Ekel, die Erzählungen, die Dramen, die Wörter (wobei ich wahrscheinlich nur die Hälfte verstand, nehme ich heute an), dessen Das Sein und das Nichts ich zumindest zu lesen versuchte und dessen Bücher ich schon wegen ihres rot-schwarzen Rowohlt-Einbandes liebte und andauernd mit mir herumschleppte. Aber nachdem er als Mann doch nicht so sehr als Vorbild taugte, wollte ich eben werden wie Simone und las auch ihre Bücher, ihre Autobiographien, Sie kam und blieb, Alle Menschen sind sterblich, Die Mandarins von Paris und kaufte mir irgendwann Das andere Geschlecht (über dessen Beginn ich dann aber doch nicht hinauskam).

Ich wollte gerne leben wie sie und eine Beziehung führen wie die zwischen Sartre und Beauvoir, diese unbedingte, unverbrüchliche, ’notwendige‘ Bindung zwischen den beiden, die sich ein Leben lang gegenseitig siezten und in getrennten Wohnungen oder Hotelzimmern lebten, ohne Kinder und ohne die Einschränkungen der Monogamie, frei. Ich wollte gerne so ein freies Leben für Literatur und Philosophie. Ich beneidete Beauvoir um die Beziehung zu Sartre, um den Pakt und ich beneidete sie um die Freiheit, sich dennoch auch andere Liebespartner genommen zu haben, Männer wie Frauen. Ich lernte, dass ihre große Liebe Nelson Algren hieß, ein amerikanischer Schriftsteller und dass sie Sartre oder eben dem Pakt zu Liebe dennoch auf das Leben an Algrens Seite verzichtete.

Ich lernte, dass ihr Kosename Biber war (frz. castor) und dass sie manchmal durchaus unter Sartres anderen Liebschaften litt (was ich aber nicht wie andere darauf zurückführte, dass sie eben eine Frau war und dass dies bei Frauen so ist, ich halte dies nicht für ‚weiblich‘!). Ich las das Buch von Bianca Lamblin (Memoiren eines getäuschten Mädchens) und lernte, dass Beauvoir manche ihrer Philosophieschülerinnen verführte und diese dann teilweise wieder mit Sartre teilte und dass dies für die ‚Dritten‘ im Bunde sicher nicht immer angenehm war. Ich lernte auch, dass Sartre offenbar ein sehr schlechter Liebhaber war und spätestens da beneidete ich Beauvoir etwas weniger.

Im Studium lernte ich wieder, welche Rolle Beauvoir für den Feminismus und die Gender-Studies spielte und welche Position sie hier in den Kontroversen einnahm. Sie schrieb in Das andere Geschlecht nicht nur den Satz "Man wird nicht als Frau geboren, man wird es" und brachte damit die Rolle der weiblichen Sozialisation auf den Punkt, sie nahm auch an, dass Frauen und Männer ansonsten gleich sind, gleich sein können, dass es keine angeborenen Unterschiede gäbe. Damit machte sie sich nicht nur Männer zum Feind, sondern auch jene Frauen und Feministinnen, die auf einer grundsätzlichen Verschiedenheit von Männern und Frauen beharren, die ‚EssenzialistInnen‘ (und die dann damit entweder versuchen, Frauen ab- oder aber aufzuwerten als bessere Menschen).

Ich war immer Beauvoirs Meinung. Dass Frauen weder besser noch schlechter sind und kaum anders. Und freute mich darüber, wie sie die Einteilung von Menschen in Männer und Frauen kritisierte und die Konstruktion von Mensch=Mann und Frau=anders:

Die Menschheit ist männlich und der Mann definiert die Frau nicht an sich, sondern in Bezug auf sich. […] Sie wird bestimmt und unterschieden mit Bezug auf den Mann, dieser aber nicht mit Bezug auf sie; sie ist das Unwesentliche angesichts des Wesentlichen. Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere!

(Simone de Beauvoir: Das andere Geschlecht, Reinbek: Rowohlt 1968, S.10-11)

Ich freute mich, wie sehr sie immer darauf beharrte, einfach ein Mensch zu sein, so dass sie sagen konnte: "Ich hielt mich nicht für eine ‚Frau‘; ich war ich!". Und als ich das Grab von Sartre und Beauvoir besuchte, da nickte ich ihm, der mich so geprägt hat, im Schatten von dessen größerer Bekanntheit sie immer stand, kurz zu, aber den Zettel mit dem schnell notierten Dank legte ich auf ihre Seite des Grabs.

Linktips:

  • Biographie Beauvoirs hier oder hier (mit weiteren Links und ausführlicher Bibliographie)
  • Artikel von Hannelore Schlaffer aus der SZ auf jetzt.de
  • Artikel von Ingrid Galster in der NZZ (via Lotrees)
  • Artikel von Barbara Vinken in der taz
  • Artikel von Christine Pries in der FR
  • Artikel von Julia Foss in der FAZ
  • Artikel von Ursula März zu Simone de Beauvoirs Briefen an Nelson Algren in der Zeit
  • Interessante Artikel von Alice Schwarzer, die mit Simone de Beauvoir befreundet war: hier und hier (und hier auch noch ein Interview mit Alice Schwarzer zum Thema)
  • Fotos von Simone de Beauvoir.
  • Beauvoir-Seite von dieStandard.
  • Zum erst jetzt aufgetauchten und von Le Nouvel Observateur veröffentlichten Nacktfoto Beauvoirs: http://lesekreis.org (das Foto gibt es hier größer/besser)
  • zum Nackfoto jetzt auch ein Artikel in der Zeit von Joachim Fritz-Vannahme, der unter dem Titel ‚Der skandalöse Akt‘ über die Entstehung des Bildes und die Retusche durch den Nouvel Observateur berichtet

Filmtip: Simone de Beauvoir, eine moderne Frau, Dokumentarfilm, Frankreich 2007, Regie: Dominique Gros, am 10.01.08 um 22.40 Uhr auf arte.

Buchtip: Hans-Martin Schönherr-Mann: Simone de Beauvoir und das andere Geschlecht, dtv 2007 (Schönherr-Mann ist auch Sartre-Spezialist und Professor für politische Philosophie an der Münchner LMU).

Mehr Buchtips hier.

10 Comments for “Simone und so”

lars

says:

Ja, das rot-schwarz der Sartre-Ausgabe war super. Bin aber auf den erst mit ca. 19-20 Jahren gestoßen. Von dem Abschiedsgeschenk meiner Zivistelle (ein Büchergutschein für eine katholische Buchhandlung) habe ich mir auch die fünf Romane und die Erzählungen im Schuber) bestellt. Viel wunderbarer fand ich aber tatsächlich de Beauvoirs „Die Mandarins von Paris“.

Vorahnend hatte ich mir vor einiger Zeit die Ausgabe meiner Mutter von Das andere Geschlecht geliehen. Kürzlich musste ich dann erfahren, dass meine Mutter ganze Regalmeter an Büchern an ein Antiquariat verschenkte, darunter die gesamte feministische Literatur. Und weil ich die de Beauvoir gerettet habe, verbleibt dieses Exemplar künftig in meinem Besitz.

lars

says:

Naja, die sind vor einigen Jahren aus einem Haus in eine Wohnung umgezogen, und weil jetzt noch ein Ofen ins Wohnzimmer soll, mussten Möbel weichen, die selbst wiederum ein Bücherregal in einem anderen Zimmer verdrängten. Dabei hätten wir hier in Wuppertal riesige Freude an den ganzen Erziehungsratgebern gehabt, allerdings musste auch ein großer Teil an den theologischen Schinken meines atheistischen Vaters weichen …

Chrizzo

says:

Danke für die Erinnerungen!
Mir ging es in selbigem Alter ähnlich, genauso mit „Das Sein und das Nichts“ und dem „Das andere Geschlecht“, nicht so mit dem Kaffeetrinken. 😉
Übrigens ist mir beim großen Mann meiner kleinen Familie sofort „Das andere Geschlecht“ ins Auge gesprungen, als ich ihn das erste Mal besuchte. Positiv. Ah, ich liebe es an anderer Leuts Bücherregalen zu spinzen. Ich finde, es sagt so viel über den Menschen aus, getreu dem Motto „sag mir was Du liest und ich Dir, was Du für ein Mensch bist“. Oder so ähnlich.

Sprachspielerin

says:

Oh ja, mich ziehen fremde Bücherregale auch magisch an und wenn bei einem Mann u.a. ‚Das andere Geschlecht‘ im Regal stünde, würde ich auch zugreifen (zum Mann, nicht zum Buch), gut gemacht! 😉

Glarean Magazin

says:

Das Zitat der Woche…

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Über die großen Frauen
Simone de Beauvoir
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Männer, die wir groß nennen, sind jene, die – auf die eine oder andere Weise – das Gewicht der Welt auf ihre Schultern genommen haben: Sie sind mehr oder weniger damit fertig geworden, es i…

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