Buch-Stöckchen

Ich bin von Lars | Odradek getroffen worden! Der will, dass ich folgendes tue (hier auf Englisch, bisher ist mir dieses Stöckchen immer nur auf deutsch begegnet, aber so weit reichen meine Fremdsprachenkenntnisse dann gerade noch…):

pick sentence 6-8 on page 123 of the nearest book, write them down and pass the game on to 5 other bloggers. …

Okay, ich muss mich gleich entschuldigen, da ich momentan am Lernen bin, liegen hier leider gerade keine literarischen, sondern nur historische Machwerke herum, also:

Die athenische Geschichte beginnt sowohl von der Quellenlage her als auch in ihrer Bedeutung für die griechische Welt erst im 6. Jahrhundert, ist von da an aber ausgiebig dokumentiert und diskutiert. Für das ganze 6. Jahrhundert gilt das Quellenproblem, welchen Grad von Verlässlichkeit die Überlieferung hat, da athenische Verfassungsgeschichte (die Atthis) erst im 4. Jahrhundert geschrieben wurde und es vor Herodot keine Chroniken gab. Hinzu kam die Neigung, in den Verfassungskämpfen des späten 5. und des 4. Jahrhunderts möglichst viele Einrichtungen der athenischen Demokratie möglichst alt und damit möglichst ehrwürdig erscheinen zu lassen, sie also vorzugsweise einem als Demokraten fingierten Solon zuzuweisen.

Puh, ganz schön lange und zähe Sätze. Ich hoffe, ihr habt jetzt wenigstens Mitleid mit mir! Das stammt aus: Wolfgang Schuller: Griechische Geschichte, Oldenbourg Grundriss der Geschichte, München 2002.

Ich werfe weiter an:

Einmal einfach

Einmal einfach schon mittags eine Flasche Sekt öffnen, sich ein bisschen betrinken und den Rest des Tages glücklich glucksend und kichernd im Bett verbringen.

Einfach mal zum Tortenessen nach Salzburg fahren, sich den Bauch vollschlemmen, bis nichts mehr geht und mozartkugelrund wieder zurück.

Sich mal einfach in einem Luxushotel der Heimatstadt einmieten für eine Nacht, die weißen, frischgebügelten Laken genießen und sich das Frühstück ganz vornehm aufs Zimmer bringen lassen. 

Einmal einfach so, ungeplant und unangekündigt über die Alpen weg fahren, auf der anderen Seite bei einem Latte macchiato pausieren und dann bis ans Meer und weit hinausschwimmen, egal wie kalt das Wasser ist, Salzwasser schlucken und glücklich sein.

Dass man immer nur dran denkt, wenn’s gerade völlig unmöglich ist und dass man nie auf diese Gedanken kommt, wenn’s ginge. Als wäre das Dran-Denken doch schöner als die Erfüllung. (?)

Vom Nicht-Einschlafen

Vom Nicht-Einschlafen

Ich liege still
und warte auf den Schlaf,
geringelt in mich
wie eine Katze am warmen Ofen
mit untergeschlagenen Pfoten
und heißem Fell,
geringelt in mich
wie eine Schlange mit
goldglänzenden Schuppen
ganz glatt und kühl.

Ich liege still und warte,
behaglich und schlaftrunken
geringelt in mich,
doch die Furcht kommt
und packt mein Herz im Nacken
und trägt es fort,
in die kalte Nacht hinaus
wie ein Raubvogel
seine Beute.

Geringelt in mich
liege ich still
und warte.

Leere der Fülle

Nochmal ein kurzer Veranstaltungshinweis für alle Münchner: morgen, Samstag, den 23.2. lese ich wie schon angekündigt um 19 Uhr im Vortragssaal der Münchner Stadtbibliothek am Gasteig, Rosenheimer Straße 5, um den 15. Haidhauser Werkstattpreis des Münchner Literaturbüros. Der Preisträger wird vom Publikum bestimmt, die zehn Kandidaten sind: Herrmann Rupp, Aye Alavie, Christoph I. Altmann, Michael Ried, Damaris Nübel, N. Bohrmann, Karl Bertram Raster, Gipp Primus, Georg Eggers, Kaya Presser, Eintritt 6 €.

Ich bin momentan gar nicht in der Stimmung dazu, mein Text muss nochmal überarbeitet und auch ‚probegelesen‘ werden, im Moment hängt mein Kopf aber noch in den Prüfungen dieser Woche. In Mediävistik ging es mir sehr gut, denke ich, die Kudrun kam dran, die Übersetzung war nicht sehr schwer, zu den Fragen konnte ich jede Menge hinschreiben… In Neuerer Deutscher Literatur hatte ich leider nicht so viel Glück, ich hatte mich vor allem auf Drama vorbereitet, da kam aber keine Frage mit Textausschnitt vor, sondern nur so ganz Allgemeines und das ist nie so besonders gut zu bearbeiten, wenn es nicht wirklich das eigene Spezialgebiet ist. Glücklicherweise hatte ich mich auch auf Lyrik vorbereitet und habe also den Gedichtvergleich zwischen Goethes ‚Um Mitternacht‘ und Mörikes ‚Um Mitternacht‘ genommen… Was dabei rauskommt, da bin ich mir nicht so sicher…

Wie dem auch sei, das muss ich jetzt erstmal wieder aus meinem Kopf ‚verabschieden‘ und eigentlich müsste ich jetzt sofort anfangen Geschichte zu lernen, denn zweieinhalb Wochen sind dafür ja gar nicht so viel und es graut mir ziemlich vor diesen Prüfungen, weil ich einfach fürchte, dass ich zu keiner Frage auch nur irgendetwas sagen kann und dann ein leeres Blatt abgeben muss, ein Alptraum! Also muss ich mich wohl oder übel ans Werk machen…

Meine Schreiblust ist dafür gerade irgendwo in Bodennähe, ich möchte das mal ‚Leere der Fülle‚ nennen, denn einerseits ist mein Kopf angefüllt mit all dem Wissen und den Details, die ich mir unbedingt merken wollte und dem, was ich mir noch unbedingt merken muss, und andererseits ist da eine kreative Leere und Lustlosigkeit, die ich schon lange nicht mehr erlebt habe… Tja, da ist dann wohl nichts zu machen. Ich hoffe aber, dass es nach den Geschichtsprüfungen, also in drei Wochen, wieder besser wird, dann bereite ich mich auf Italienisch vor, das macht mehr Spaß und ist auch ‚lockerer‘.

Hier mal ‚meine‘ Gedichte, vielleicht wollt ihr euch ja mal in einem Vergleich üben, aber ‚Seien Sie vorsichtig mit einer eventuellen Epocheneinordnung‘ (wie es verunsichernderweise in der Angabe stand):

Johann Wolfgang Goethe: Um Mitternacht

Um Mitternacht ging ich, nicht eben gerne,
Klein, kleiner Knabe, jenen Friedhof hin
Zu Vaters Haus, des Pfarrers, Stern am Sterne,
Sie leuchteten doch alle gar zu schön;
Um Mitternacht.

Wenn ich dann ferner in des Lebens Weite
Zur Liebsten mußte, mußte, weil sie zog,
Gestirn und Nordschein über mir im Streite,
Ich gehend, kommend Seligkeiten sog;
Um Mitternacht.

Bis dann zuletzt des vollen Mondes Helle
So klar und deutlich mir ins Finstere drang.
Auch der Gedanke willig, sinnig, schnelle
Sich ums Vergangne wie ums Künftige schlang;
Um Mitternacht.

Eduard Mörike: Um Mitternacht

Gelassen stieg die Nacht an Land,
lehnt träumend an der Berge Wand;
ihr Auge sieht die goldne Waage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
vom Tage,
vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied –
sie achtet’s nicht, sie ist es müd;
ihr klingt des Himmels Bläue süßer noch,
der flücht’gen Stunden gleichgeschwungnes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
es singen die Wasser im Schlafe noch fort
vom Tage,
vom heute gewesenen Tage.

Es gibt sicher schwierigere Gedichte und der Goethe ist ja auch recht einleuchtend, aber der Mörike, nun ja, ganz bin ich dem nicht auf die Schliche gekommen, fürchte ich, ich bin aber auch weder Mörike-Experte noch -Freund, diese ganze Zeit, Klassik, Romantik, Biedermeier, interessiert mich nicht besonders, aber das hilft ja nun nichts… Drückt mir die Daumen, dass der Korrektor mir gnädig ist (und meine Schrift lesen kann)!

Erleuchtungen

Es ist ja so, dass man kurz vor Prüfungen immer das Gefühl hat, viel zu wenig gelernt zu haben und ohnehin überhaupt gar nichts zu wissen und alles ist ganz schrecklich. Viel mehr kann ich dazu auch nicht sagen, ich will euch mein Gejammer ersparen, morgen geht es los, also bitte drückt mir die Daumen! Die Prüfung morgen beginnt um 8.00 Uhr, ich hoffe also, dass die unter euch, die zu solch unmenschlicher Uhrzeit noch schlafen, die Daumen auch im Schlaf drücken können! Dann 5 ganze Stunden Qual und ich kann nur auf die ein oder andere Erleuchtung hoffen. Und am Donnerstag dann gleich dasselbe noch einmal, auch von 8-13 Uhr.

Hier also nur der kurze Hinweis auf das ein oder andere Musikalische, damit ihr euch die Zeit vertreiben könnt, solange ich in die Prüfungen untertauche, vielleicht ist ja was für euch dabei und ihr habt beim Hören auch die ein oder andere Erleuchtung.

1. Amplive hat ein Remix-Album vom Radiohead-Album ‚In Rainbows‚ gemacht, in welches ich mich ja auf Anhieb verliebt hatte. Ich finde es mehr oder weniger gelungen, es ist hier umsonst herunterzuladen und man ahnt die Genialität der Radiohead-Stücke noch durch die Songs hindurch, die mir da am besten gefallen, wo sie am wenigsten verändern und die Stimme von Thom Yorke am besten durchdringt… Ich empfehle aber auch einfach nochmal, das Radiohead-Album selbst zu kaufen! Hier als Vorgeschmack das wundervolle Video zu ‚All I need‚:

2. Ein (nachträgliches) Valentinstags-Geschenk gibt’s von der Mobius Band, die ihr kurzes Album ‚Love will reign supreme‚ mit einigen hübschen Cover-Songs (u.a. von Neil Young, The National, Bob Dylan) ebenfalls umsonst hier zum Herunterladen anbietet. Macht euch selbst ein Bild und überlegt euch, ob ihr das neue Album Heaven der Mobius Band haben wollt!

3. Okkervil River hat den wahrscheinlich kleinäugigsten genialsten Sänger, den es gibt. Auf der Homepage kann man nicht nur das neueste Album (The Stage Names) komplett anhören, man kann dort auch ebenfalls ein Mixtape mit Cover-Songs namens ‚Golden Opportunities‚ herunterladen (und die sollte man sich doch nicht entgehen lassen. Im Ernst, das lohnt sich schon wegen des sagenhaften Gesangs von Will Sheff). Die Songs der Band sind ja wirklich hinreissend großartig, auf einem Konzert war ich selbst auch schon mal und einen Live-Mitschnitt kann man sich hier ansehen:

4. Das alles habe ich nicht selbst zusammengesucht oder gefunden, sondern verdanke ich (größtenteils) dem wunderbaren Nicorola-Musikblog mit dem reizenden Untertitel rock-a-hula-baby. Dank also dorthin!

5. Ich melde mich Donnerstag oder Freitag wieder, wenn das schlimmste erstmal überstanden ist und wenn ich dann noch lebe… 😉

Grimassen

Die alte Frau, die mir entgegenkommt, mit so angestrengtem, verkniffenen Gesicht, jeder Gesichtsmuskel ist angespannt, als müsse sie gegen starken Wind anrennen, so dass ich ganz erstaunt schaue und höre, wo er denn sei, dieser Sturm, gegen den sie kämpft, aber ohne Ergebnis. Und die Alte an der Supermarktkasse, die immer wieder die Lippen nach oben und unten auseinander zieht wie ein böser Hund seine Lefzen, wie ein Tier, das die Zähne bleckt, aber bei ihr ist es nicht bedrohlich, denn sie gibt nur die Sicht frei auf ihre lückenhaften, krummen Zahnreihen, dann schließt sie die Lippen wieder, nur um sie gleich darauf wieder krampfhaft zurückzuziehen. Wieso diese Grimassen? Es muss anstrengend sein, das Leben der alten Damen.

Du sollst

für M. 

Du sollst mich küssen
und meinen Mund verschließen
mit Deinen Lippen, damit
zwischen den meinen
kein Schluchzen hervordringt.

Du sollst mich ansehen,
tief in meine Augen
und zurückdrängen damit
meine Tränen in die Höhlen.

Du sollst mich lauschen lassen
nach Deinem Herzschlag, damit
ich den Takt wiederfinde
und mich halten kann daran.

Du sollst nur schweigen,
meine Haut bedecken mit der Deinen
und mich halten, damit
es aufhört, das Zittern meines Herzens
und das Frieren von innen.

Ich seh‘ Dich an
und schweige.

Tomatendosenmissernte

Tomatendosenmissernte

Geschälte Tomaten in Dosen (kurz: Dosentomaten oder Tomatendosen) gehören ja zu meinen Lieblingslebensmitteln. Ich mache daraus eine einfache Tomatensoße zu Nudeln oder schwäbischen Maultaschen, ein Sugo mit Staudensellerie und Walnüssen oder mit Thunfisch zu den Spaghetti oder ein Ragù, also Bolognese-Soße, manchmal auch Ratatouille oder Hackfleischklösschen in Rotwein-Tomatensauce (schmeckt sehr lecker zur norditalienischen Polent(in)a) oder die Soße auf die selbstgemachte Pizza oder zu gefüllten Paprikaschoten und manchmal kommt auch eine Dose ins indisch angehauchte Curry mit Kokosmilch.

Ich brauche die Dinger also wirklich oft. (Und wer jetzt Appetit bekommen hat, der darf gern nach den Rezepten fragen.) Überhaupt schmecken die Tomaten aus der Dose ja auch viel besser als jene frischen aus holländischen Treibhäusern, die nicht einmal wissen, was Sonne ist und ein wenig nach dem Plastik schmecken, in das sie verpackt wurden. Gerade im Winter sind Dosentomaten die Tomaten der Wahl, sie schmecken das ganze Jahr über gleich und man ahnt immerhin etwas von dem Sommer, den sie erlebt haben müssen.

Nun ist es aber so, dass in meinem örtlichen Supermarkt, einem T.-Mann (der vor ca. zehn Jahren alle anderen Supermärkte im Viertel systematisch verdrängt und aufgekauft hat, so dass es nur noch T.-Filialen im Viertel gibt, dafür aber gleich drei davon in nächster Nähe), dass dort also ungefähr schon die letzten zwei Monate immer wieder die für meine heißgeliebten Dosentomaten vorgesehenen Regalbretter mit gähnender Leere glänzen. Die Tomatendosen der gewohnten Marke gibt es schlichtweg nicht mehr und nur ab und zu tauchen Paletten mit Dosen irgendwelcher anderer, nie-gesehener Marken für kurze Zeit auf, mit denen man sich eindecken kann, das tun aber auch andere Leute und so sind die Dosen schnellstens wieder ausverkauft, aufgekauft, weg sind sie wieder.

Was ist passiert? Gab es dieses Jahr eine Missernte an Tomatendosen? Ich bin ja auch nicht dumm, ich weiß ja, dass Dosentomaten nicht ganzjährig wachsen, auch nicht im Süden, also muss es ja wohl an der diesjährigen Ernte liegen. Was ist also diesen Sommer geschehen? Wollten die Bienen nicht anfliegen und verschmähten die metallisch duftenden Tomatendosenstrauchblüten beständig, statt sie zu befruchten? Gab es ein Bienensterben wegen Schwermetallvergiftung, weil die Bienen die Tomatendosenstrauchpollen nicht vertrugen? Oder sind Tomatendosensträucher gar Selbstbestäuber und es war den ganzen Sommer über absolut windstill?

Herrschte ein solcher Wassermangel in Italien, dass die armen Dosentomatenstauden unter dem Gewicht der schweren Tomatendosen einknickten, geschwächt? Gab es Hagel oder schlimme Unwetter, die die Tomatendosen von den Sträuchern wehten, ehe sie reif waren und die richtige Größe erreicht hatten? Gab es einen schlimmen Schädlingsbefall? Irgendwelche Nagetiere, die es mit evolutionär angepassten Vorderzähnen endlich schafften, sich auf das Öffnen der Tomatendosen am Strauch zu spezialisieren? Oder ein neuer Dosentomatenwurm, eingeschleppt aus Südamerika?

Vielleicht streikten dieses Jahr auch die Tomatendosenerntehelfer (in Italien wird ja ohnehin dauernd gestreikt), so dass die überreifen Dosen herabfielen, aufplatzten und verfaulten? Hat die Mafia etwas damit zu tun? Oder Berlusconi, der die Wiederwahlen schon vorausahnte, seinen kommenden Wahlsieg mit einer großen Tomatenparty feiern will und die Jahresernte deshalb im Land zurückhielt, Italien was den Italienern zusteht oder so?

Irgendetwas muss passiert sein. Steht uns eine Tomatendosenknappheit bevor, gar eine Dosentomatenhungersnot, aber niemand will es schon laut sagen? Ich bin ratlos und verzweifelt.

Unreine Reime

Ganz kühl und klar
die Luft heut‘ war,
die Sonn‘, der Wind
wie Frühling sind,
ganz kurz und stramm
der Spa-zier-gang
zur Isar hin
vertreibt den Grimm.

P.S. Ich hoffe, ihr habt heute auch so gute Frühlingslaune wie ich und verzeiht mir deshalb dieses kunstlose Spaßgedichtchen… Über die Betonung Spá – zier – gáng könnt‘ ich mich heute jedenfalls ausführlich freuen… 

Morgens und abends

Wenn ich morgens aufstehe, dann bin ich fast immer voller Lebensmut und Tatendrang. Wenn ich abends ins Bett gehe, dann meist erschöpft und traurig, mit dem Gefühl, Zeit vergeudet, nichts geschafft zu haben und meine Prüfungen nie im Leben bestehen zu können, mit einem Herzen wie eine Wasserbombe: ein klitzekleines Pieksen in die dünne Plastikhaut bringt es zum Platzen und die Tränen zum Überlaufen. Meine Nerven waren nie die stärksten, aber dennoch frage ich mich, was da zwischendrin, zwischen morgens und abends, an solch einem Tag mit mir geschieht.

Mich interessieren die Dinge, die ich lernen muss, ich mag sie, ich arbeite mich anfangs mit Begeisterung durch die Literaturgeschichte, mir gefallen die theologischen Wirren der Reformationszeit und die sozialen des Bauernkriegs, ich schätze Kriemhild, Kudrun und Gyburc und übersetze mit großer Freude aus dem Mittelhochdeutschen, ich entdecke mit viel Interesse die Griechen wieder, die ich seit der Schulzeit so schmählich vernachlässigt habe, am liebsten würde ich mich sogleich über Homer hermachen und die griechischen Lyriker wieder im Original lesen, nichts lieber als das. Und ich weiß auch, dass es in gewisser Weise sogar ein Luxus ist, mich den ganzen Tag lang mit solchen Dingen beschäftigen zu dürfen, tief in Geschichte und Literatur einzutauchen, ich weiß, dass mancher gerne mit mir tauschen würde (statt arbeiten zu gehen).

Was mich aber einerseits stört ist die Begrenzheit der Zeit und die Masse an Stoff, die es mir verbieten, mich tiefer in Einzelheiten einzuarbeiten, mir verbieten, mich zu spezialisieren, nachzufragen, nachzuforschen. Ich soll alles wissen, im Staatsexamen kann man mich alles fragen. Aber mir liegt nicht die Weite des Wissens, nicht die Oberflächlichkeit, mir liegt mehr die Vertiefung und der Perfektionismus im Kleinen, den ich mir jetzt austreiben muss. Ich muss mich selbst andauernd davon abhalten, mich in Details zu verlieren und noch dieses und jenes nachzusehen, denn ich muss einfach durch den Stoff durch! Und es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass ich in die Prüfungen werde gehen müssen und nicht alles wissen werde.

Und andererseits ist es einfach dieses ‚Muss‘, das schon jeden Morgen wie ein Damoklesschwert über mir hängt und irgendwann, mitten im vergnüglichen Lesen und Lernen auf mich niedersaust, mir die Unfreiwilligkeit meines Tuns vor Augen führt und mir so jede Lust nimmt. Sobald ich mir vergegenwärtige, dass ich nicht anders kann, als jetzt auf Teufel-Komm-Raus zu lernen, keine Wahl habe, werde ich böse und bockig und mag nicht mehr. Warum nur bin ich so gemacht, dass mir alles, was ich ‚muss‘ sogleich weniger Freude macht, dass sich dagegen in mir ein Trotz aufbaut, ein kindlicher, der irgendwann ausbricht und mich die geliebten Bücher verfluchen lässt?

Hätte ich doch nicht so viele Existenzialisten lesen sollen, um diesen Willen zur Freiheit, zur Freiwilligkeit, der mir jeden Tag das Lernen verdirbt, nicht noch zu stärken? Was tue ich gegen diesen Widerspruchskobold, der in mir hockt und immer ‚aber‘ sagt oder ’nein‘ ruft? Neuerdings hängt ein Spruch von Goethe über meinem Schreibtisch:

"Beim Muss kann der Mensch allein zeigen, wie’s mit ihm steht. Willkürlich leben kann jeder."

Soso. Mal sehen, ob’s hilft. Und viel leichter wäre es ja auch, wenn ich mich jeweils auf eine Sache konzentrieren könnte, ohne mich um anderes zu sorgen, wenn ich mich mit Dramentheorie beschäftigen könnte, ohne mir zeitgleich Sorgen um das Examen in Geschichte zu machen. Und überhaupt ginge alles viel schneller und besser, wenn ich mir nicht so viele Sorgen machte, die ganz unnütz sind und mich kein Stück weiterbringen. Aber wie stellt man die ab?

Also jeden Tag ein Ringen mit mir, bis zur Lustlosigkeit, bis zur Erschöpfung, bis zur Weinerlichkeit, jeden Tag, bis der widerspenstige Gnom in mir losplärrt und mein Herz zur Wasserbombe macht. Jeden Tag ankämpfen gegen meinen Perfektionismus, gegen die Sorgen, gegen das ‚Müssen‘ und gegen andere Ablenkungen sowieso. Und das noch bis Ende Juni. Ich darf gar nicht daran denken, wie lange das noch ist, Gottlob bin ich schlecht im Rechnen.

Was hilft, das sind die Narzissen, die auf meinem Schreibtisch stehen, ich hatte den intensiven Geruch von Narzissen ganz vergessen. Was hilft, das ist eine Umarmung und das Essen, das mir ein lieber und vielgeliebter Mensch liebevoll kocht und bäckt. Was hilft, sind die beiden VW-Käfer, die genau vor meiner Haustür stehen, einer golden, der andere narzissengelb, Stoßstange an Stoßstange, als würden sie sich aneinanderkuscheln und schmusen.

Kaefer_klein.jpg

Was hilft, ist immer wieder das Schreiben, das freiwillige, das mich trotzdem aufrecht gehen lässt. Was hilft, ist ein wenig jammern und getröstet werden. Was hilft, ist viel Schokolade, heißer Tee und ein heißes Bad. Was hilft, ist immer wieder Musik, zum Beispiel einer der allerbesten Songs, die ich kenne, Dilaudid  von The Mountain Goats. Das Lied heißt nicht zufällig ‚Dilaudid‘ wie ein Schmerz- und Betäubungsmittel. Bitte das Video einfach nicht beachten, aber die Liveaufnahmen des Songs sind alle deutlich schlechter als das Original, also nur hinhören, aber laut aufdrehen: