Eternità

Sag nur, dass Deine Liebe mein sei,
dass der Abdruck Deines Fingers
mir ewig bleiben wird auf der Haut,
dass Dein Arm, den Du um mich gelegt,
süß dort immer lasten wird
und dass Dein Kuss, der mich berührte,
dort immer brennen wird, denn dann
lass’ ich nicht die Hoffnung sinken,
verzweifle nicht, sondern
weit’ ich die Schwingen
und warte, bis der Wind mir
Deinen Kuss bringt, den süßen
und Deine sanfte Umarmung,
bis ich den Atem Deines Herzens spüre
und Deine Worte mich wiegen,
bis Deine Liebe mich einhüllt
und flieg’ auf,
vom Nest des hohen Nussbaums,
nach hoch droben,
für immer.

Herr Ernst

Darf ich vorstellen: die neue und wieder wunderschöne April-Ausgabe von mindestenshaltbar ist da, diesmal ohne Thema aber dafür mit Musik! Und in diesem ‚Heft‘ ist nach einer Pause auch wieder eine Geschichte von mir: Herr Ernst. Ich bin ganz zufrieden damit, sie ist richtig ‚handlungsreich‘ für meine Verhältnisse, also: rübergehen, Lesebefehl! Kommentare bitte gerne hier oder dort.

Noch ein Wort zur Musik zu meiner Geschichte: die ist vom großartigen Kevin Hamann alias Clickclickdecker alias My first trumpet. Der Mensch hat so viele verschiedene Musikprojekte, dass es zwar sehr erfreulich aber langsam auch ein bisschen unübersichtlich wird. Es gibt ihn erstens als Clickclickdecker (mit Homepage und Blog), das ist sehr sympathisch-melancholischer Gitarren-Indie-Rock mit deutschen Texten, die oft in einem absurd hohen Tempo vorgetragen werden, sehr hübsch! Als Click hat der Herr mich auch schon zwei Mal auf Konzerten in München sehr erfreut.

Außerdem gibt es dann aber eben My first trumpet, Clicks ‚Elektropop-Projekt‘, in das man bei mySpace reinhören und dessen Platte Frerk man sich hier komplett umsonst herunterladen kann (macht das unbedingt, es lohnt sich!). Aus dieser Platte stammt das Stück mit dem wunderbaren Titel ‚Autonarkose‘, das ich mir zu meiner Geschichte ausgesucht habe.

Letztlich ist Click zur Zeit aber am aktivsten mit seinem Projekt Bratze (auch hier mySpace, Homepage, Blog), das es sich sicher auch zu beobachten lohnt. Also, hört euch das an oder lest zu Click nochmal nach: in der Wissenswerkstatt gibt es einen Artikel zu „My first trumpet bezaubert mit Frerk“ und auch einen zu Click als „Überzeugungstätergitarrenrocker„.


Nachtrag: Nachdem mindestenshaltbar inzwischen eingestellt wurde, hier der Text nochmal komplett:

Herr Ernst

Vielleicht hätte man es an dem Christbaum merken müssen, der im März immer noch geschmückt auf dem kleinen Balkon stand. Vielleicht hätte man es einfach daran merken müssen, dass man dem alten Herrn Ernst gar nicht mehr im Treppenhaus begegnete. Aber nach dem Tod seiner Frau im Herbst war er ohnehin immer seltener aus der Wohnung gekommen und sein immer mürrisches Wesen machte es einem leicht, ihn nicht zu vermissen. Erst hinterher fragte man sich, ob man nicht etwas hätte bemerken müssen, fragte sich, warum man denn nicht an ihn gedacht und sich gesorgt hatte.

Seine Frau war ganz anders gewesen, das genaue Gegenteil, sehr lebhaft, lebensfroh und kontaktfreudig, jeden sprach sie im Treppenhaus an, sie lauerte den Bewohnern regelrecht auf, um sie in ein Schwätzchen zu verstricken und oft hörte man sie laut und mit schöner Alt-Stimme singen, tagsüber, wenn ihr Mann nicht zu Hause war. Während er in der Arbeit war, sang sie die alten Schlager aus ihrer Jugend und manchmal musste man sich dann ein Lachen verkneifen, wenn die alte Dame mit tiefer Stimme „Kann denn Liebe Sünde sein?“ oder „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben?“ trällerte. Ihr Mann hatte das gar nicht gern. Auch das Klavierspiel hatte er ihr verboten und ihr Klavier kurz nach der Hochzeit verkauft, denn das Musikmachen war ihm verdächtig und gehörte sich nicht für eine anständige Ehefrau, das war seine Meinung. Deshalb blieb es still, sobald er nach Hause gekommen war, sehr still, kein Gesang, kein Radio, kein Lachen mehr von Frau Ernst.

Sie vermisste ihr Klavier, sie sprach oft davon, wie sie als junges Mädchen Klavierstunden bekommen hatte und trotz ihrer kleinen Hände sofort Schlager spielen wollte, ohne lästige Anfänger- und Fingerübungen und wie ihr das auch gelungen war. Ihr Klavier hatte ihr Mann ihr genommen, aber ihre Stimme konnte er ihr doch nicht nehmen. Und so sang sie fröhlich und trotzig, auch ohne Klavierbegleitung, sobald er nur das Haus verließ. Jeden der Hausbewohner packte sie mindestens einmal nach einem Gespräch bei der Hand und führte ihn mit leuchtenden Augen in ihre Wohnung, wo sie stolz wie ein Kind ihren größten Schatz herzeigte: ein original Autogramm von Zarah Leander, ihrem großen Idol, extra für sie.

Man musste sie einfach mögen, die Frau Ernst, auch wenn sie einem manchmal gehörig auf die Nerven gehen konnte, wenn man es eilig hatte, sie einen aber doch im Gespräch festhielt. Ihr Tod kam plötzlich, kurz nachdem ihr Mann in Rente gegangen war, so plötzlich wie sie es sich immer gewünscht hatte. Auch ihre Mutter war damals mitten am Tag, im fahrenden Linienbus ganz unvorbereitet zwischen all den Leuten vom Schlag getroffen worden und sofort tot, wie sie erzählte, so wolle sie auch sterben, so ohne jede Vorwarnung, ohne Krankheit, ohne Schmerzen. Denn sie, sie sei niemals im Leben krank gewesen, nie, nicht einmal eine Erkältung habe sie jemals gehabt und sie könne es sich auch gar nicht vorstellen, auch nicht im Alter, das passe einfach nicht zu ihrer Rossnatur. Dann lieber kerngesund und plötzlich umfallen. Dieser Wunsch war ihr dann tatsächlich erfüllt worden, aber viel früher, als sie gedacht hatte.

Denn eigentlich freute sie sich sehr auf die Rente ihres Mannes, sie erzählte immer wieder begeistert von den Plänen, die sie für diese Zeit hatte, sie hätten ja endlich noch reisen, noch so viel erleben können! Ein Leben lang hatte Herr Ernst gearbeitet, von früh bis spät, auch für sie, sagte er, für sie, die keine Ausbildung hatte, weil schon ihre Mutter das nach dem Besuch der Hauswirtschaftsschule für ein gutbürgerliches Mädchen für überflüssig gehalten hatte, obwohl sie gerne etwas hätte lernen wollen, für sie hatte Herr Ernst gearbeitet, für die es sich seiner Meinung nach auch überhaupt nicht ziemte zu arbeiten. Anständige Frauen blieben zu Hause, machten den Haushalt, umsorgten den Ehemann und brachten abends pünktlich das Essen auf den Tisch, anständige Männer sorgten dafür für den Lebensunterhalt, so einfach war das.

Und dann war es endlich so weit, mit der Rente. Vielleicht ertrug sie es einfach nicht, diesen mürrischen Menschen und sein strenges Regiment plötzlich den ganzen Tag zu Hause um sich zu haben, ertrug es nicht, dass er ihr jetzt dauernd sagte, was zu tun war und sie bei jeder Regelübertretung ermahnte, dass er jedes Schwätzchen mit den Nachbarn, die für ihn Unbekannte waren, für überflüssig hielt und es missbilligte, vielleicht ertrug sie es einfach nicht, dass sie jetzt auch tagsüber nicht mehr singen durfte. Vielleicht entzog ihr seine reine Anwesenheit die Lebenslust. Jedenfalls lag sie eines Morgens einfach tot neben ihm im Bett, nur wenige Wochen, nachdem er seine Rente angetreten hatte, und an diesem Tag sah man den Herrn Ernst zum ersten und letzten Mal emotional aufgewühlt und erregt. Er lief durchs Treppenhaus und klingelte alle Nachbarn aus dem Schlaf, weil er nicht wusste, was er tun solle mit seiner toten Frau, weil er überhaupt nicht wusste, was er tun sollte.

Nach der Beerdigung von Frau Ernst, an der sämtliche Hausbewohner teilnahmen, zog Herr Ernst sich zurück und verließ die Wohnung nur noch schwarz gekleidet zu seinen seltenen Einkäufen, sprach mit niemandem, nur den lautgestellten Fernseher hörte man ab und zu durch die Wände. Nie bekam er Besuch, er hatte keine Freunde, seine Frau war wohl die einzige gewesen, die seinen strengen Charakter aushalten konnte.

Dann war es Frühling geworden, die Jahreszeit, in der Frau Ernst sonst Frühlingslieder gesungen und fröhlich den sorgfältig verteilten Weihnachtsschmuck gegen eine verfrühte Osterdekoration ausgetauscht hatte, die Jahreszeit, in der sie jedem, dessen sie im Treppenhaus habhaft werden konnte, froh erzählte, dass es in einem Frühling gewesen sei, in einem Frühling im Krieg, in dem sie ihren Mann kennengelernt habe, ein Frühling, in dem die Bomben noch die aufgerissenen Felder zu einem glühenden Blühen gebracht hatten. Freudestrahlend berichtete sie dann von ihrem „Ernstl“, wie „schmuck“ er damals in Uniform ausgesehen habe – wofür sie auch gerne Fotos als Beweis vorlegte – und wie glücklich sie damals mit ihm gewesen sei.

„Jaja,“, sagte sie dann, „eine Frau wird erst schön durch die Liebe.“ Wenn man „Ernstl“ aber kannte, dann musste man den Schluss ziehen, dass dies niemals an ihm hatte liegen können, sondern vielmehr Frau Ernst über die Fähigkeit verfügte, mit beinahe jedem Menschen, in beinahe jeder Situation glücklich zu sein. Ihre Augen verschatteten sich nur, wenn sie erzählte, dass sie keine Kinder hatten bekommen können, obwohl sie sich Kinder so sehr gewünscht habe, aber sie fand sicher sehr bald einen Grund, das Thema zu wechseln und fröhlich von etwas anderem zu sprechen. Vielleicht war sie dann lächelnd damit fortgefahren, dass nur der Nachname ihres Mannes nun wirklich nicht zu ihr passe.

In diesem Frühjahr, nach ihrem Tod, blieb der Christbaum, den Herr Ernst trotz allem im Dezember hinausgestellt hatte, bis in den März auf dem kleinen Balkon stehen, aber niemand wunderte sich, niemand dachte überhaupt noch an Herrn Ernst. Vielleicht hätte man einmal bei ihm klingeln, ihm Hilfe anbieten sollen, aber andererseits war man sich sicher zurückgewiesen zu werden und es schien doch alles in Ordnung. Auch roch man nichts, der Winter war kalt und Herrn Ernsts Sparsamkeit führte dazu, dass er die Heizung meist ausgeschaltet ließ. Erst als der große Briefkasten vor Werbung und Kontoauszügen überquoll, rief irgendwer aus dem Haus die Polizei, nachdem Herr Ernst auch nach mehrmaligem Klingeln nicht geöffnet hatte. Er musste schon im Dezember gestorben sein, Verwesung und teilweise Mumifikation waren schon fortgeschritten, als man ihn auf der Couch sitzend fand, auf seinem Schoß das alte Notenheft mit dem Autogramm von Zarah Leander.

An den Sommer

An den Sommer

Ich will das Summen der Bienen, das Brummen der Hummeln und das Zirpen der Bein an Bein wetzenden Grillen, ich will das unablässige Getöse der Insekten, das die heiße, staubige Luft erfüllt und zum Vibrieren bringt, ich will das Klagen der Schwalben und Gurren der flügelschlagenden, liebestrunkenen Tauben, ich will den Gesang der Nachtigallen am Wasserfall und das Fiepen der pelzigen Fledermäuse des Nachts, ich will das Glänzen der sich in der Sonne wärmenden Schlangen und das raschelnde Davonhuschen der Eidechsen, ich will das fleischig-rote Innere der blauen Feigen und die saftige Süße der Trauben vom Weinstock, ich will die Mühsal des Brombeersammelns und das unerwartet Bittere der vom Baum gepflückten Mandeln, ich will die Hitze, die mir den Leib dörrt, die Zunge beschwert und den Geist benebelt, will den Schatten eines Kirschbaums oder des harzigduftenden Pinienwäldchens, ich will den Wind, der mir das Haar zaust, die Stille nach einem Gewitter und den Duft des heißen, nassen Asphalts, ich will das Rot des trockenen, aufgebrochenen Erdreichs und sein Edelsteinfunkeln, ich will die silbrigen Olivenbäume und den Ginster, den gelben, ich will die aufsteigenden Geruchswolken von Thymian, von Rosmarin und von Lavendel, ich will das sanfte Sich-Öffnen der bunten Belles-des-nuits am Abend, will das funkelnde Fallen der Sternschnuppen aus dem weiten Nachthimmel und die lauen Sommernächte, in denen die Erde abkühlt und Kraft schöpft für die sich morgendlich immer wieder erneuernde Hitze, ich will die Spiegelung des Meers im Blau meiner Augen und seinen kühlen Wellenschlag um meinen Leib, ich will Dich, Sommer, ganz.

Twitterdingens

So, jeder Widerstand war zwecklos, meine Skepsis ist besiegt, ich habe mich ergeben und jetzt doch auch endlich so ein Twitterdingens: http://twitter.com/Sprachspielerin

Man wusste natürlich immer davon, dass es da sowas gibt und das jetzt schrecklich angesagt ist, aber vor zwei Wochen hat dieser Herr hier uns bei einem abendlichen Bier, einer Portion Spaghetti Bolognese und einer internen re:publica-Vorbesprechung auch noch von twitter vorgeschwärmt, uns erklärt, wie das funktioniert und was den Reiz daran ausmacht und wir haben etwas ungläubig zugehört. Dann – gestern – ist Marc gefallen und nach langanhaltender Ablehnung auch zum Twitterer geworden. Und wenn er sowas hat, dann muss ich sowas natürlich auch haben, da bin ich ganz kindlich.

Jetzt könnt ihr also alle nachlesen, was ich so denke und mache, wenn ich nicht gerade Blogposts verfasse (falls euch das überhaupt interessiert). Eine Einbindung in den Blog hier ist schon angedacht, kann aber noch einige Arbeitszeit in Anspruch nehmen…

Von Bibliotheken

Ich liebe ja Bücher über alles. Ich mag sie in der Hand halten und spüren, ich mag in ihnen blättern, ich mag sie ‚begreifen‘, ihren Einband und die einzelnen Seiten, ich mag sie rascheln hören und ihren Geruch atmen. Und ich will Bücher, die ich lese, auch immer am liebsten besitzen, ausleihen ist nicht so meins. Um ehrlich zu sein, gehe ich aber dann auch nicht gut mit meinen Büchern um (also ist es auch besser, wenn sie nicht ausgeliehen sind), es dürfen ruhig Eselsohren hinein, meine Bücher werden aufgeschlagen unsanft auf den Bauch gelegt, meine Bücher werden mit in die Badewanne genommen, mit zum Frühstück, mit an den Strand.

Für mich sind sie dann aber nicht ‚beschädigt‘, für mich sind sie dann erst so richtig ‚mein‘, erobert durch den sichtbaren Gebrauch. Ich mag die von der Feuchtigkeit zerknitterten Seiten, die gebrochenen Buchrücken, die Wasser-, Kaffee-, Marmeladen- oder Tomatensoßenflecken, ich mag den Sand, der noch Jahre später beim Aufschlagen herausrieselt und die plattgedrückten Mücken, die ich mit dem Buch gefangen habe. Ich mag es, wenn man auf den ersten Blick sieht: oh, dieses Buch ist nicht neu, es wurde gelesen, es wurde geliebt.

In manchen Phasen meines Lebens habe ich so viele Bücher erstanden (natürlich mehr als ich lesen konnte), dass jemand einmal zu mir sagte, ich kaufe Bücher wie andere Leute Brot. Ich habe Bücher wirklich gerne, egal ob neue oder gebrauchte, egal ob frischgedruckte oder natürlich noch lieber sehr alte, ich kann mir ein Leben ohne Bücher schlichtweg nicht vorstellen. Und ich liebe natürlich Bücherregale, die sich unter dem Gewicht der Bücher nur so biegen, und am liebsten sind mir Wände, die man gar nicht sieht, weil sie nämlich ganz und gar von Bücherregalen bedeckt sind (auch wenn dazu mein Geld und Platz zu Hause natürlich nicht reichen).

Was ich aber dennoch nicht mag – und das erstaunt nach allem Gesagten vielleicht (von der Liebe auch zu alten, benutzten Büchern und der Liebe zu flächendeckenden Bücherregalen) – was ich also trotz allem nicht mag, sind Bibliotheken. Zumindest nicht die zahlreichen Abarten von Universitätsbibliotheken. Ich gebe ja zu, dass das ungerecht und unlogisch ist, denn nirgends sonst findet man schließlich so viele Bücher, druckfrische wie Erstausgaben, nirgendwo sonst so wenig sichtbare Wände, weil alles von Büchern bedeckt ist und nirgendwo sonst kommt man überhaupt an bestimmte Bücher heran, die vergriffen, alt, nicht wieder aufgelegt etc. sind. Und ja, Bibliotheken können wirklich schön sein, wie uns gerade wieder die Wissenswerkstatt mit einigen sehenswerten Fotos von Pracht-Bibliotheken gezeigt hat.

Sobald ich aber eine der meist weniger prächtigen Universitätsbibliotheken betrete, wird trotz meiner Bücherliebe mein Mund staubtrocken und ich selbst entsetzlich müde. Alles was dann kommt, finde ich nur noch sehr, sehr anstrengend. Das beginnt ja schon mit den kleinen Schließfächern, vierzig Zentimeter hoch, aber oben haben sie doch einen Haken, an dem man seine Jacke aufhängen soll: wessen Jacke passt denn da rein, ohne auf dem Schließfachboden zu schleifen? Irgendwelche Baby- oder Zwergenjacken vielleicht, aber das sind ja dann doch die eher ungewöhnlichen Bibliotheksbesucher. Trotzdem, irgendwie quetscht man dann (denn gerade im Winter, wenn man mit Tasche und dickem Mantel kommt, ist es nichts anderes als quetschen) doch noch alles ins Schließfach, bemüht sich noch, das richtige Geldstück zu finden (denn nein, die Bibliotheken können sich nicht einigen, ob sie zu diesem Zweck nun 1- oder 2-Euro-Stücke haben wollen und so hat man natürlich immer gerade das falsche Geldstück zur Hand) und schließt ab.

Man lächelt erschöpft und will den Schlüssel irgendwohin stecken, wirft aber noch einen kurzen Blick darauf: am Schlüssel befindet sich kein Anhänger mit der Nummer des Schließfachs. Das war ja eigentlich klar, denn selbst bei ganz neu installierten Schließfächern fehlen nach allerkürzester Zeit die allermeisten Nummernanhänger an den Schlüsseln. Sammelt die eigentlich irgendjemand? Gehen Leute gezielt in Bibliotheken, um ihre Kollektion von Schließfachschlüsselanhängern aufzubessern? Auf der Suche nach der 375, die ihnen in der Sammlung noch fehlt? Mit einfachem Abrieb ist das Ganze jedenfalls nicht zu erklären, dazu verschwinden zu viele. Was zum Teufel machen die Leute damit? Man versucht sich also wenigstens ungefähr einzuprägen, wo das eigene Schließfach ist und schreitet dann zur Tat.

Das eigentlich Anstrengende und Enervierende beginnt dann aber erst. Denn hat man die Signaturen der benötigten Büchern einmal gefunden, muss man ja noch diese selbst im Regal finden und da frage ich mich jedes Mal, wie es denn sein kann, dass die Bücher, die man sucht, entweder ganz, ganz oben in den Regalen stehen (so dass man sich auf einen Schemel, in anderen Bibliotheken auf eine wenig vertrauenserweckende Leiter begeben muss) oder aber ganz, ganz unten, nur wenige Zentimeter über dem Boden (so dass man sich gleich auf den wenig vertrauenserweckenden Teppichboden setzen muss, um sie auch nur ansehen zu können).

Was in aller Welt machen die Bibliothekare mit dem Rest des Regals, mit all den Regalmetern in der Mitte zwischen diesen Extremen, an die man ganz bequem, ohne Verrenkungen und ohne sich in Gefahr zu begeben herankommen könnte? Was um Himmels willen steht da? Sind das nur lauter Bücher-Atrappen, in denen gar nichts abgedruckt ist? Oder sind das absichtsvoll all die Bücher, die nun wirklich niemand braucht und sehen will? Sind das nur Platzhalter, damit man die Bibliotheksbenutzer sehr zielsicher nach ganz oben oder ganz unten jagen kann? Spätestens an dieser Stelle wünsche ich mir nur noch sehr viel Wasser (gegen die staubtrockene Luft) und mein Bett.

Man kann jetzt möglichst schnell einen Kopierer suchen, alles kopieren, was man lesen will und die Bibliothek fluchtartig wieder verlassen, das gelingt meistens aber nicht: erstens sind die spärlichen Kopierer sowieso zumeist alle besetzt und die Schlange sehr lang, zweitens bräuchte man eine spezielle Kopierkarte, die es nur drei Häuser weiter an einer speziellen Verkaufsstelle gibt und drittens wäre das einfach viel zu viel und viel zu teuer. Man kämpft also weiter, sucht sich einen Sitzplatz und schlägt die Bücher auf, die man sich unter Einsatz seiner Kraft und Geschicklichkeit heldenhaft erobert hat.

Wenn man nun versucht, konzentriert zu lesen, sich Stichpunkte zu machen oder vielleicht nur aufzuschreiben, was man unbedingt benötigt und doch einfach kopieren möchte, damit man diesem Ort möglichst bald entkommen kann, dann trifft man auf ein weiteres Hindernis der Bibliotheksbenutzung: die anderen Bibliotheksbenutzer. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass diese anderen nur in die Bibliothek gelassen wurden, um einen abzulenken und beim Arbeiten zu stören.

Die harmloseste Spezies unter den Bibliotheksbenutzern ist noch die, die dieselbe mit ihrem Büroarbeitsplatz verwechseln und um sich herum ein wildes Sammelsurium an mitgebrachten Sachen installieren, bei denen man sich wundert, dass sie diese überhaupt alle tragen konnten. Da finden sich natürlich bündelweise Stifte, verschiedene Sorten, Kugelschreiber, Bleistifte, Buntstifte, Leuchtmarker, Glitzerstifte mit und ohne Duft und so weiter. Außerdem natürlich Spitzer, Locher, Hefter, lange Lineale und was man sonst noch braucht. Dazu kommen dann aber auch noch Kaugummis und Lutschbonbons (was für ein Glück, dass man keine Getränke und Brotzeit mitnehmen darf, sonst sähen die Tische dieser Benutzer sicher wie ein kompletter Bahnhofskiosk aus). Außerdem darf natürlich eine Handcreme nicht fehlen, genauso eine Haarbürste, ein…, eine…, die Vielzahl der sorgfältig um den Benutzer herum aufgebauten Dinge ist schlicht unerschöpflich und kaum vorstellbar.

Natürlich gibt es auch immer mehr Bibliotheksbesucher, die mit ihren Laptops ankommen, dagegen ist natürlich erstmal auch wenig einzuwenden. Nur: bitte macht doch vorher eure Lautsprecher aus! Es nervt unheimlich, wenn alle paar Minuten aus irgendeiner Bibliotheksecke die Windows-Startmelodie zu hören ist. So schön ist die nicht! Und dann, naja, dann kann man sich schon manchmal ärgern, wenn man sich mühsam einen Platz gesucht hat, weil beinahe alle belegt sind und die Bibliothek fast überquillt, andere aber ganz ruhig auf ihren Plätzen sitzen, diese offenbar aber nur belegen, um in aller Ruhe Solitär spielen zu können und das nicht nur zwischendurch, sondern beobachtbar stundenlang. Ja, da könnte man sich schon fast aufregen.

Ärgern kann man sich natürlich auch über die lauten Gespräche, die einen aufschrecken und über das Absatzgeklapper, das einen immer wieder aufblicken und der vorbeistolzierenden Dame nachblicken lässt. Man versteht ja, dass jemand Aufmerksamkeit will, das ist ja auch legitim, aber bitte, versucht diese doch irgendwie anders zu erreichen als mit Schuhen, mit denen man ebensogut Flamenco tanzen könnte, so einen Lärm machen sie auf jedem Holzboden. Schuhe in Bibliotheken sind ja ohnehin so ein Thema, denn es ist durchaus verbreitet, selbige in der Bibliothek auszuziehen. Meine Meinung dazu: das muss nicht sein! Eure löchrigen Socken solltet ihr nur eurer Katze daheim zeigen, ich kann auf den Anblick gerne verzichten.

Überhaupt auch nicht zu unterschätzen ist die mangelnde Körperhygiene in den Bibliotheken: das fängt an mit den unbeschuhten, strumpfsockigen Käsefüßen, die einem da entgegengestreckt werden und geht weiter zur unterlassenen Benutzung irgendwelcher Deodorants. Und nein, ich finde Schweißgeruch nicht konzentrationsfördernd, ganz im Gegenteil! Besonders schlimm wird das, wenn man zwar wegen des Nebenmanns Gestank kaum mehr zu atmen vermag, trotzdem aber den Platz nicht wechseln kann, weil die Bibliothek fast überquillt und alle Plätze von Solitärspielern besetzt werden.

Hat man sich dann wegen all dieser und anderer Widrigkeiten dazu entschlossen, die Bibliothek doch zu verlassen, weil man hier ohnehin keinen Schritt vorankommt, dann kommen noch einige Hürden: erst muss man die aus den Regalen geholten Bücher sorgfältig dahin zurückstellen, wo sie waren, also ganz oben oder ganz unten ins Regal, sich auf die Leiter schwingen oder auf den Boden kauern (am besten legt man sich bäuchlings flach auf den Boden), dabei, wenn man sich schon in so eine Position gebracht hat, kann man auch gerne noch das ordnen, was die Mitbibliotheksbenutzer da so hinterlassen haben. Denn obwohl diese ja offensichtlich lesen können (was machten sie sonst in einer Bibliothek?), fällt ihnen das Signaturen-Lesen und das Ordnen der Bücher nach diesen Zahlen offensichtlich sehr, sehr schwer. ‚Durcheinander‘ ist oft gar kein Ausdruck für das, was man in den Regalen vorfindet.

Hat man die Bibliothek also mit sich unvorstellbarerweise immer noch steigernder Staubtrockenheit des Mundes und schnell weiter anwachsender Müdigkeit verlassen, wartet nur noch der letzte Stolperstein: ich habe Bibliotheksbenutzer schon eine halbe Stunde lang in den Reihen der Schließfächer nach ‚ihrem‘ Schließfach suchen sehen, jedes einzelne mit dem Schlüssel prüfend, hoffend, dass er da nun doch einmal passt. Letztlich reißt man nur noch erleichtert seine völlig zerknitterten Kleidungsstücke aus dem endlich wiedergefundenen Schließfach und schaut, dass man möglichst schnell zu einem großen Getränk und einem weichen Bett kommt.

Wie gesagt, ich liebe Bücher und auch ich erstarre angesichts der bei Marc gezeigten Prachtbibliotheken und von ihm so genannten ‚Kathedralen des Wissens‘ genauso wie Robert in Ehrfurcht, aber die Universitätsbibliotheken: nein, wirklich nicht, die haben damit rein gar nichts zu tun, keine Liebe, keine Ehrfurcht, nichts davon, ich könnte richtig gut darauf verzichten.

Tapes ’n Tapes

Nur ein kleiner Musikhinweis: die Tapes ’n Tapes, eine vierköpfige Band aus Minneapolis, deren erstes Album The Loon mich wirklich (auch live) begeisterte (ich erinnere nur an den umwerfenden, rumpeligen Song Insistor!), haben jetzt ihre zweite Platte Walk it off fertig. Zu diesem Anlass gibt es hier gratis vier Songs vom neuen Album als mp3’s herunterzuladen und hier kann man sich sogar das ganze Album schonmal anhören!

Und ich bin mal wieder bezaubert, ich mag einfach dieses Tempo, dieses zähe Voranschreiten des Rhythmus‘ manchmal, dieses Rumpeln und die kratzige, brüchige, leicht gequetschte Stimme des Sängers und kann mal wieder kaum sitzenbleiben beim Anhören (und möchte am liebsten laut mitsingen, obwohl ich die Songs noch gar nicht kenne)! Also hoffe ich, dass euch das genauso gute Frühlingslaune macht wie mir!

via nicorola mal wieder 

Zur Teddyaffenwoche

Ja, ich weiß, ich bin viel zu spät dran, das war schon die letzte Woche, die Anke Gröner zur Teddybärenwoche ausgerufen hatte. Aber einerseits bin ich ja entschuldigt, dass ich es nicht schon früher mitbekommen habe (akuter Lernstress), andererseits sind die Ergebnisse/Blogbeiträge teilweise so schön, dass ich mich jetzt einfach noch ungefragt und verspätet anschließen muss. Außerdem hat mich Percanta durch ihr Beispiel ermutigt, denn sie hat auch diese Woche noch die Bären Monika und Jochen nachgeschoben, nachdem es letzte Woche bei ihr schon Pu zu bewundern gab.

Außer der Verspätung habe ich aber auch noch ein weiteres Problem: mein Teddy ist kein Bär. Aber darüber tröstet mich dann wieder hinweg, dass es auch bei Lu von miagolare ein Hundi ist, der ihr Teddy war, bei Sven ein Tiger und bei Thommy sogar ein Äffchen namens Toldie (und wazong hat den gleichen). Denn ansonsten handelt es sich tatsächlich weitgehend um Bären-Begleiter, unbedingt besuchen sollte man darunter Isas Bär Brummi, dessen Brummen man sich beim Anklicken des Bildes auch gleich anhören kann.

Weitere Bären gibt es natürlich bei Anke selbst (1, 2), bei Text&Blog, Kiki, Flummi, Dirk, Sara und ondamaris, bei Altmetall, dem Heliumkiffer und meiner Mitmünchnerin Helga. Auch Frau Klugscheisser zeigt ihren alten Teddybären, aber nicht ohne auf einen verschollenen Affen und die Entsorgungsproblematik hinzuweisen, auf die sie letztes Jahr schonmal näher einging. Auch ich hatte andere Kuscheltiere (darunter wahrscheinlich sogar Teddybären), die älter waren und vielleicht sogar ‚liebergehabt‘ wurden, aber die sind irgendwie weg. Mag ja sein, dass das eine oder andere Stofftier noch in Südfrankreich aufzufinden ist, wo ich ja meine früheste Kindheit verbrachte, kann aber auch gut sein, dass sie schlicht und ergreifend der Ordnungsliebe meiner Mutter zum Opfer gefallen sind, das halte ich sogar für die wahrscheinlichere Alternative.

Das, was bei mir als liebstes und frühestes Kuscheltier übriggeblieben ist, ist jedenfalls ein Affe, ein relativ großer, sehr weicher, hellbeiger Affe. Und da kommt schon die dritte Einschränkung zur Teilnahme an der Teddybärenwoche: es ist nicht nur zu spät und kein Bär, sondern so besonders alt wie die, die woanders schon vorgestellt worden sind, ist der Affe auch nicht, nicht so liebevoll abgewetzt, abgeliebt und geflickt, der sieht eigentlich noch ganz gut aus, da muss man sich fast schämen.

Bekommen habe ich ihn auch nicht zur Geburt, sondern erst irgendwann zu Grundschulzeiten von meiner Patentante, ich wollte eigentlich unbedingt einen Affen von Steiff (weil eine Freundin so einen hatte, mit Drähten in den Armen), aber das war wohl zu teuer. Der no-name-Affe hat es aber auch genauso getan und wurde sehr geliebt und jetzt kommt das vielleicht einzig Besondere an diesem Nicht-Teddybär: sein Name.

Nein, einer reicht nicht, ich war ein sehr phantasievolles Kind, es mussten drei sein und so heißt er nun: Schimpo Schischi Tapioka. Schimpo, weil Affen eben so heißen müssen, davon war ich überzeugt, da hatte ich gar keine andere Wahl. Schischi, weil das so gut zu Schimpo passt und zusammen gut klingt. Und Tapioka, naja, ich glaube, dass in meiner damaligen Lieblingslektüre (Lustige Taschenbücher, aber nicht weitersagen!) eine Figur mit diesem Namen vorkam und mir der Klang gefiel. Dass Tapioka auch eine Süßkartoffel bzw. irgendwas aus der Maniokknolle ist, erfuhr ich erst viel später (zumindest farblich kommt das aber ungefähr hin)…

Nun gut, dann wäre das vornehme Äffchen mit dem langen Namen also vorgestellt, ich hatte den Artikel schon bis hierhin geschrieben und wollte zum finalen Foto schreiten, als mir genau das passierte, was Anke geschah und überhaupt nur der Grund für diese Teddybärenwoche gewesen ist: ich fand ihn nicht. Nicht an dem Platz in der Rumpelkammer, wo ich ihn ganz sicher vermutete, nicht im Bettkasten, nirgendwo. Und mein ‚Kerl‘ (wie Anke das nennt) macht auch keine Anstalten, ihn wiederzufinden. Weg, verschwunden, keine Ahnung wo, verschollen oder weggelaufen, kein Foto jedenfalls. Vielleicht hangelt er sich irgendwo im Urwald von Ast zu Ast oder ist im Affen-Nirwana, ich weiß es nicht. Wahrscheinlich liegt er aber nur unspektakulär und staubbedeckt irgendwo in einem Winkel meiner Wohnung…

Okay, ja, ich geb’s zu, das nennt sich dann wohl ‚Versagen auf der ganzen Linie‘: völlig verspätet antreten, einen gar nicht besonders alten Affen mit komischem Dreifachnamen als Teddybären unterschieben wollen und den dann noch nicht einmal finden und fotografieren können! Super, toll gemacht, ganz große Klasse, das ist doch mal ein kompletter Reinfall.

Aber ätsch, ich stell‘ das jetzt trotzdem ein, vielleicht finde ich ihn ja noch irgendwann, dann wird das Foto von Herrn Schimpo Schischi Tapioka nachgeliefert. Vorerst  – damit ihr hier keine Randale macht – müsst ihr euch mit dem Bild eines ‚aktuellen‘ Kuscheltiers trösten, das einzige, das die Kinder- und Jugendzeit in meinem Bett überlebt hat bzw. eigentlich noch viel jünger ist, nämlich erst gute 10 Jahre. Auf der anderen Seite sieht man ihm aber an, dass es liebgehabt und ‚benutzt‘ wird, denn ich habe es fast jede Nacht in der Hand, es passt da einfach perfekt rein in meine Faust, den Kopf zwischen Daumen und Zeigefinger hindurchgestreckt, und das sieht man auch (u.a. am sehr schiefen Hals des Viechs).

 Ungeheuer_01.jpg

Voilà, darf ich vorstellen: das ‚Ungeheuer‘. Ich habe es mal auf meinem Tiger-Sofa fotografiert, damit es wenigstens ein kleines bisschen gefährlich aussieht und nicht so wie die harmlose Schildkröte, die es wahrscheinlich darstellen soll. Das Biest ist natürlich von Steiff, aber warum genau es nun ‚das Ungeheuer‘ heißt, weiß ich auch nicht. Seid ihr nun zufrieden mit meinem Teddybären?

Rowohlt-Liebe zum 100.

Schon immer habe ich den Rowohlt-Verlag geliebt, mein absoluter Favorit unter den Verlagen, natürlich wegen der dort veröffentlichten Autoren: Simone de Beauvoir ist dort, Jean-Paul Sartre und Albert Camus auch, außerdem Wolfgang Borchert, Ernest Hemingway, Henry Miller und Philip Roth, Paul Auster und Siri Hustvedt, Virginie Despentes, Nicholson Baker und James Salter, Tahar Ben Jelloun und auch Helmut Krausser und Michel Houellebecq teilweise, um nur eine unvollständige und völlig ungeordnete Liste einiger meiner großen "Idole" hier anzuführen. Ich habe Rowohlt immer geliebt und es war und blieb mein Traum, einmal dort ein Buch zu veröffentlichen, mich so einzureihen zwischen diese großen Namen.

Außerdem gibt es da natürlich auch noch die wunderbaren Rowohlt-Monographien, die ich reihenweise verschlungen habe. Über die roten Rowohlt-Reihen mit Sartre-Büchern in meinem Bücherschrank und darüber, dass ich in einem gewissen Alter immer eines davon mit mir herumschleppte (weshalb einige Bände auch völlig zerfleddert sind), hatte ich ja schon einmal geschrieben. Ich mochte immer dieses Kürzel und das Logo rororo und an den seltsamen Ort ‚Reinbek‘, über den man sonst wahrscheinlich nie etwas gehört hätte, habe ich mich auch nur anfangs gewundert.

Ich wollte also ohnehin schon einmal einen Artikel über Rowohlt schreiben und ein Loblied singen, jetzt habe ich aber erfahren, dass mein Lieblingsverlag dieses Jahr auch noch seinen 100. Geburtstag feiert (er wurde nämlich 1808 in Leipzig gegründet), dieser Verlag, über den Joachim Güntner zu diesem Anlass in der NZZ schreibt:

Rowohlt ist nicht so gediegen wie S. Fischer, nicht so nüchtern wie C. H. Beck, nicht so intellektuell wie Suhrkamp. Dafür spritziger, beweglicher, frecher, modischer.

Das bringt es ganz gut auf den Punkt, finde ich: Rowohlt hat dieses gewisse Etwas, ein aufregendes, ein bisschen anrüchiges, anstößiges, erotisches, modernes und avantgardistisches Etwas, finde ich. Also gehen hiermit die herzlichsten Glückwünsche zum Geburtstag von mir an meinen Lieblingsverlag! Die Jubiläums-Website (mit virtuellem Rundgang durchs Verlagsgebäude und sogar einem Jubiläums-Blog) kann sich übrigens wirklich sehen lassen und ist einen Besuch wert!

Nur eine, eine einzige kleine Kritik habe ich: könnt ihr euch noch an die Pfandbrief-Werbung in alten Rowohlt-Büchern erinnern? Erst kürzlich ist mir in einer etwas älteren Ausgabe (1970) des Standardwerks von Marian Szyrocki zur deutschen Literatur des Barocks (damals in der Reihe ‚Rowohlts deutsche Enzyklopädie‘) wieder so eine vergilbte Seite aufgefallen:

Poetischer_Trichter.jpg

Der Werbetext dazu lautet (wobei zu beachten ist, dass es sich beim ‚Poetischen Trichter‚ um ein barockes Literatur-Lehrbuch von 1647 von Georg Philipp Harsdörffer handelt, das dem Schüler die ‚Teutsche Dicht- und Reimkunst‘ "in Vl. Stunden einzugiessen" fähig sein soll):

Ein poetischer Trichter … macht aus einem prosaischen Menschen nicht in sechs Stunden einen Dichter und Reimer. Und eine Anzeige macht nicht in sechs Minuten aus einem Autofan einen Eisenbahnfahrer, aus einem Weltenbummler einen Eigenheimsparer, aus einem Wasserscheuen einen Badefreund, aus einem Verschwender einen Sparsamen. So soll hier gar nicht erst versucht werden, den Leichtfüßigen, Prassern, Geldverschleuderern und Sparmuffeln, Habenichtsen und Ewigborgern die ‚Teutsche Spar- und Zinskunst‘ einzugießen. […]

Und das Frappierende und höchst Angenehme daran ist ja, dass man sich da wirklich die Mühe gemacht hat, die Werbung dem Buch anzupassen, sie thematisch intelligent einzupassen, zusätzlich noch ein ‚barockes‘ Bild zu malen und einen ziemlich amüsanten, sprachlich durchaus eleganten und ironischen Text dazu zu schreiben! Mir hat das immer sehr gefallen und da kommt meine einzige, kleine Kritik: könnte man das nicht wieder machen, diese lustige und hübsche Pfandbrief-Werbung? Die gehörte doch irgendwie dazu und fehlt mir schon sehr in den neuen Büchern!

Linktips zum 100. Geburtstag des Rowohlt-Verlags:

Der Anfang von etwas

Ich liebe den Anfang von etwas, diese unüberbietbare Neugier und Offenheit, dieses Hungrige und Gierige, diese Unersättlichkeit, dieses Sich-Hingeben ans Neue, dieses Überwältigt-Sein, diese absolute Begeisterung und Leidenschaft.

Ich liebe das Ende von etwas, die neuerlichen Gefühlsaufwallungen und die wiedererweckte Leidenschaft, die Befriedigung oder Tragik, den Schmerz und die Tränen oder das Glück und den Erfolg, die Ergebnisse und Entscheidungen, die den Weg wieder ebnen für den Anfang von etwas.

Nur das in der Mitte, das dazwischen, das Laue, ist mir oft unerträglich.

Endlich! Pascoli!

So, heute war endlich meine letzte schriftliche Prüfung. In zwei Wochen beginnt dann der Durchlauf durch die 11 mündlichen, aber jetzt freue ich mich erst einmal, dass ich alles Schriftliche hinter mich gebracht habe. Heute zum Abschluss also die Klausur in Italienischer Literaturwissenschaft, eigentlich ja nun eines meiner liebsten ‚Fächer‘ und ich habe die letzten Tage fast nur mit der Lektüre von Petrarca- und anderen Gedichten verbracht, was ja durchaus sehr nett und angenehm ist.

Nur: es kam mal wieder nichts von dem dran, was ich speziell vorbereitet hatte, gar nichts, keine Standardthemen, nur "Abseitiges"… Und: nicht mein geliebter Francesco Petrarca, kein Petrarkismus, keine Gaspara Stampa, kein Giambattista Marino oder ein sonstiges Barockgedicht, kein Giacomo Leopardi und kein Drama von Luigi Pirandello. Naja, war zwar vergeblich, aber trotzdem nett, wieder einige Sonette von Petrarca zu lesen…

Stattdessen kam unter anderem Giovanni Pascoli dran, von dem ich bisher (also vor dem Lernen auf die Klausur) nicht allzu viel gehört hatte: Lyriker der Jahrhundertwende, des Ästhetizismus, der Dekadenz (neben dem Zeitgenossen D’Annunzio), in Italien wohl vor allem durch Schulbücher sehr bekannt, außerhalb von Italien weniger. Es gab also folgendes Gedicht von Pascoli zu analysieren, das aus seiner Gedichtsammlung Myricae stammt:

Il tuono

E nella notte nera come il nulla,
a un tratto, col fragor d’arduo dirupo
che frana, il tuono rimbombò di schianto:
rimbombò, rimbalzò, rotolò cupo,
e tacque, e poi rimareggiò rinfranto,
e poi vanì. Soave allora un canto

s’udì di madre, e il moto di una culla.

Ein wirklich wunderbares, ein perfektes Gedicht und auch für jene ein wenig zu genießen, die des Italienischen nicht mächtig sind, denn tuono heißt Donner und jetzt: bitte laut vorlesen! Man hört den Donner ja förmlich, besonders sein Anrollen in "rimbombò, rimbalzò, rotolò", das dann rhythmisch hart auf das "cupo" (= dumpf) auftrifft (Betonungen auf dem ò und dem direkt folgenden u von cupo). Und dann schon der erste Vers (E nella notte nera come il nulla), so weich, so sanft mit diesen n’s und l’s, den Alliterationen und dem regelmäßig alternierend betonten Endecasillabo, auch das bitte laut lesen! Übersetzt klingt das viel weniger schön ("Und in der Nacht, schwarz wie das Nichts").

Aber es war ja auch keine Übersetzung, sondern ‚bloß‘ eine Analyse bzw. Interpretation verlangt und in diesem Gedicht sind Inhalt (in der Nacht ertönt plötzlich ein Donnern und verhallt dann), Reimform (v.a. der das ganze Gedicht umarmende Reim von nulla in V.1 und culla in V.7), Rhythmik (von ruhig alternierend zu unregelmäßig zurück zu ruhig) und Lautung (besonders die dunklen o’s und die r’s im zentralen 4. Vers, inhaltlich der Höhepunkt des Donners und des Gedichts) wirklich perfekt aufeinander abgestimmt. Eine wirklich geniale, symmetrische und zugleich zyklische Form, bei der einfach alles stimmt und dazu ein lautmalerisches Wunderwerk!

Und dann die letzten beiden Zeilen, wenn der Donner verhallt ist (vanì), dieser neue, zweite Satz, der mit soave (= süß, lieblich) einsetzt, was den Gesang (canto) einer Mutter bezeichnet, den man jetzt nach dem Donner hört und das Geräusch der Bewegung einer Wiege (culla), diese letzten Zeilen, die rhythmisch, lautlich und inhaltlich wieder zur Ruhe zurückkehren, die regelmäßige Bewegung der Wiege im Takt des mütterlichen Gesangs hörbar machen und nach dem naturgewaltigen Ereignis eine familiäre Idylle skizzieren, nur anzitieren, die aber so sehr zu berühren wissen!

Ihr seht: ich bin begeistert (und das obwohl ich eine Klausur darüber schreiben musste), ein wirklich großartiges Gedicht! Auch wenn es nicht einfach war (einige Worte waren ohne Wörterbuch dann doch recht schwierig) und mir auch die Zusatzfragen (nach dem Vergleich mit anderen Naturgedichten und der Literaturgeschichte) etwas zu schaffen machten, bin ich dennoch sehr froh, dieses Gedicht kennengelernt und so genau analysiert zu haben, denn das hat sich wirklich gelohnt. Und jetzt bin ich kaputt, aber glücklich!