Das Grau der Tage

Das Grau der Tage

Ein Augenblick kommt, bleibt kurz, geht und es geschieht:

nichts. Ein nächster Augenblick kommt, ich atme aus, schließe die Augen und es geschieht:
kaum etwas. Das Grau vor meinen Augen wird nur um ein weniges dunkler und die Umrisse, die ich mit geöffneten Augen an den Rändern meines Blickfeldes noch erkennen kann, verschwinden. Ich atme die stickige Altenheimsluft meines Zimmers ein, hebe einen Augenblick später meine Lider erneut und meine Augen blicken ins Grau meiner Tage. Ich bin beinahe blind, beinahe.

Dass ich nicht ganz blind bin, macht es kaum besser. Ich kann mich nur auf die Jagd machen nach Schemen, die ich dort zu erahnen vermag, wo ich nicht hinsehe, ganz außen, die aber verschwimmen, verschwinden, wenn ich sie in den Blick zu nehmen, zu fixieren suche. Das Perfide an dieser Krankheit ist, dass sie mir genau das entzieht, was mein Interesse findet, was ich anblicken will. Dort, im Zentrum meines Blicks, wird es unscharf und grau, immer nur grau.

Es begann beim Lesen, meiner liebsten Beschäftigung, es begannen Buchstaben zu fehlen genau an den Stellen, wo ich las, wo ich verstehen wollte. Anfangs konnte ich noch raten, doch es fehlten immer mehr Buchstaben, von Tag zu Tag. Das Schwarz-Weiß der Lettern auf dem Papier wurde verschlungen vom alles verdeckenden, einheitlichen Grau. Und die Ärzte konnten nichts tun. Empfahlen mir Lupen und Lichter und schickten mich schließlich nach Hause, überließen mich hilflos meiner Erkrankung. Ich versuchte weiterhin zu lesen, doch täglich wurde es weniger, was ich erkennen konnte und täglich hätte ich Tränen weinen mögen um jeden Satz, der sich nicht mehr begreifen ließ, Tränen weinen um jedes Buch, das ich nicht mehr lesen konnte.

Schlimmer noch als die Buchstaben war aber das Verschwinden der Gesichter. Das der Pflegerinnen und das der Bekannten, die mich für unfreundlich hielten, weil ich sie nicht begrüßte, wenn sie mir auf der Straße begegneten. Aber die Menschen, die ich anschauen wollte, in deren Gesichtszügen ich zu lesen begehrte, bekamen durchs Zuwenden meines Blicks statt des Gesichts graue Kreise auf die Schultern. Wenn mich heute jemand besuchen kommt, dann muss ich fragen, wer es ist, bevor ich mich freuen kann. Wenn heute eine der Pflegerinnen eintritt, bitte ich sie zuerst, mir ihren Namen zu nennen, denn ich kann sie nicht mehr voneinander unterscheiden.

Eines Morgens trat ich vor den Spiegel und erkannte mich nicht, ich näherte mich weiter, doch da war nichts, kein Gesicht mehr, nichts als verschwommenes Grau, das alles überdeckt. Ich kann mich nicht mehr anblicken, ich weiß nicht mehr, wie ich selbst aussehe. Ich kann nicht alte Fotos anschauen, um zu erahnen, wie mein Gesicht heute sein könnte. Ich fahre mir über die knittrigen Wangen, die faltige Stirn, reibe mir die Augen und versuche mir eine Vorstellung zu machen, aber es gelingt mir nicht.

Der Fernseher wurde zum schwarzen Kasten ohne Farben und ohne Bild und ich stelle ihn lauter, um zu bemerken, dass er läuft, bis ich es nach einiger Zeit nicht mehr ertragen kann und ihn abstellen muss. Ich sehe vor mich hin, ins Graue, die Augenblicke kommen und gehen, ohne dass etwas geschähe. Ich bin eingesperrt in mir, bin eingesperrt ins Grau meiner Tage und kann nur sitzen und warten. Meistens warte ich darauf einzuschlafen, nur minutenweise einzunicken, jeder Augenblick, in dem ich schlafe und nicht dieses Grau sehen muss, ist ein gewonnener.

Manchmal drücke ich die Tasten meines Telefons, die eingespeicherten Nummern werden gewählt und oft erreiche ich dennoch niemanden. Manchmal spreche ich auf die Anrufbeantworter am anderen Ende, um meine eigene Stimme zu hören. Manchmal ist jemand zu Hause, aber es ist nie derjenige, den ich zu sprechen hoffte, die Ziffern auf den Telefontasten kann ich nicht mehr lesen. Dann sage ich meiner Enkelin, dass ich sie gern habe, aber ich glaube nicht, dass sie mich zurückrufen wird.

Twitterweisheiten

Auch ich komme immer öfter in die Verlegenheit, twitterabstinenten Freunden erklären zu müssen, was Twitter eigentlich sei. Wie ein Blog ist auch Twitter zuerst einfach mal ein Medium, ein Kommunikationsinstrument (und das sagt erstmal überhaupt nichts über die Qualität aus). Zwar steht über den jeweils verfügbaren 140 Zeichen die vorgegebene Frage „What are you doing?“, ob oder ggf. wie man diese Frage aber mit seinem Tweet (so heißt die einzelne Äußerung in Twitter) beantworten will, bleibt einem durchaus selbst überlassen. So reicht also die Bandbreite, wie man Twitter füllen kann – wie bei Blogs – von banalem (und oft dennoch interessantem) Alltagsgeschwätz über das Essen, die Katzen und das Fernsehprogramm bis hin zu hochwertigen Wortspielen, Aphorismen und jetzt eben auch ‚Twitterweisheiten‘.

Alles begann gestern mit einem kleinen Gesprächsgeplänkel zwischen der (Wissens-)Werkstatt und dem guten Bosch, der schrieb:

Ein Tag ohne neue Follower ist ein verlorener Tag. #twitterweisheiten

worauf die (Wissens-)Werkstatt antwortete:

Der nächste Tweet ist immer der Schwerste! #twitterweisheiten

Damit war also eher zufällig der Begriff und die Idee der ‚Twitterweisheiten‘ geboren, die sich in der Folge eines heftigen Zuwachses erfreuen durften. Einen Überblick (der immerzu aktualisiert wird) findet man dazu auf Summize unter dem Suchbegriff Twitterweisheiten. Von Fußballtweets und Sprichwörtern war man dann bald auch zur Twittersophie gelangt und es gab einen kleinen Durchlauf durch die Philosophiegeschichte, von den Vorsokratikern Heraklit und Xenophanes über den Sophisten Protagoras und Sokrates schließlich auch zu Aristoteles. Man löste sich aber auch von den Griechen und stieß über Kant bis zu Heidegger, Camus, mehrmals sogar Wittgenstein (woraufhin der Titel Twittgenstein verliehen wurde) und auch zu Deleuze vor.

Besonders freut mich, dass unsere Twitterweisheiten schon weltweit Anhänger gefunden haben und von Isabella Mori (moritherapy) inzwischen in einem sehr vergnüglichen Blogpost teilweise ins Englische übersetzt wurden. Daraufhin musste ich natürlich auch gleich eine englische Twitterweisheit tweeten. In der Literatur wären hier noch einige Lücken zu füllen (nur Heine tauchte schon auf), auch Bibelzitate waren bisher noch spärlich gesät, aber die guten alten Sprichwörter sind ja auch einfach schön, wie dieses hier von textundblog:

Reden ist Silber, Twittern ist Gold. #twitterweisheiten

In diesem Sinne wünsche ich euch ein besinnliches Wochenende, es lohnt sich sicher, hier in den Twitterweisheiten zu blättern und ab und an wieder hineinzuschauen, was uns Neues eingefallen ist. Und für die, die selbst (noch) kein Twitter haben: hinterlasst doch eure Twitterweisheiten einfach hier in den Kommentaren, ich twittere sie dann sehr gerne stellvertretend für euch! Hier im Blog klappt das jetzt übrigens auch endlich besser, dass meine letzten Tweets rechts unten angezeigt werden.

Gisbert zu Knyphausen

Ich muss jetzt mal wieder eine kleine Werbepause einlegen. Denn der Mensch da, namens Gisbert zu Knyphausen singt:

„Ich bin schon lang nicht mehr auf der Suche nach dem Sinn. Denn er wird sich immer verändern. Und ich weiß ziemlich genau was ich bin, aber nicht wo das hin will. Und das find‘ ich gar nicht so schlimm.“ (Der Blick in deinen Augen).

Oder auch: „Manchmal glaube ich, dass ich zu langsam bin für all die Dinge, die um mich herum geschehen. Doch all die Menschen, die ich wirklich, wirklich gerne mag, sie sind genauso außer Atem wie ich.“ (Sommertag)

Ich könnte jetzt immer so weiter machen, dann stünden hier irgendwann Gisberts komplette Texte, denn (beinahe) alles davon ist zitierenswert, aber noch schöner sind die Texte dann doch mit seiner Musik. So schön, dass mir dazu schlichtweg die Worte fehlen, Gisbert zu Knyphausens Lieder treffen irgendwelche Nerven, verschaffen Gänsehaut und sonstige Schauder, bringen teils Augen fast zum Überlaufen und Münder zu einem (mehr oder minder) schmerzlichen Lächeln, machen verzücken und freuen, tun jedenfalls jede Menge mit einem und dann wird man sie nicht mehr los.

Die Krankheit breitet sich wie eine Kontaktallergie aus, wenn man sich durch die mySpace-Seite hört, dann klebt man schon an der süß-schmerzliche Sucht, aber das ist bei weitem noch nicht alles: es lohnt sich wirklich, wirklich sich auch die ganze Platte zu kaufen, darauf findet man 12 Lieder und einfach jedes davon ist ein Juwel, keine Minute verschwendet beim Anhören und Hinhören und Wiederhören und Immerwiederhören. Ich kaufe ja auch immer seltener CDs, aber selten war ich zufriedener damit, dass ich es getan habe.

Gisbert zu Knyphausen-Hören ist wie Füße im Sand vergraben oder wie die Wange an warmes Holz legen.

So steht es hier und das trifft es ziemlich gut. Das ist eigentlich schon alles, was ich dazu sagen kann und wollte, macht euch selber ein Bild, hört rein, schaut euch meinen hochadligen Altersgenossen (das ist nämlich kein Pseudonym, sondern sein echter Name) an, z.B. hier wenn er „Sommertag“ singt:

Und gleich noch ein Video, damit ihr auch schön süchtig werdet und das Album kaufen müsst, daran führt wirklich kein Weg vorbei (und nein, ich bin nicht bestochen worden, kein bisschen, nur begeistert), hier „Verschwende deine Zeit (Gisbert Blues Nr.135)“:

Noch mehr Videos („Kleine Ballade“ und „Gute Nachrichten“) gibt es hier bei neueHelden.tv zusammen mit Bildern und einem Podcast, zwei weitere Videos in der Solo-Version findet man beim musikexpress. Mehr Infos zu Gisbert zu Knyphausen gibt es im Blog von Omaha-Records und damit ihr nicht denkt, dass ich alleine spinne: begeisterte Stimmen meldeten sich u.a. schon bei Intro (hier auch eine Plattenkritik und ein Interview zusammen mit Kettcar/Marcus Wiebusch), im Spiegel und bei der Roten Raupe (wo man auch einen Song gratis downloaden kann) oder hier oder hier oder sehr schön auch hier.

Das ist dann auch schon der einzige Haken an der Geschichte: ein Geheimtip ist Gisbert leider nicht mehr, so richtig ‚für sich haben‘ (wie man es sich bei diesen Texten manchmal wünscht) kann man ihn also nicht mehr.

Lebenszeichen aus der Atempause mit ohne Musik

Ich war über das Pfingstwochenende nur vier kurze Tage in Italien (in Anduins im Friaul), bin jetzt aber so entspannt und ausgeruht wie eine gefühlte Ewigkeit schon nicht mehr. Das lag sicher nicht nur an den vier Tagen ganz ohne Lesen und Lernen, sondern vor allem an den zehn fürchterlich netten Menschen, mit denen ich da war. Außerdem an der Sonne, die morgens schon ins Zelt schien, am entspannten Grillen draußen (trotz einiger Regentropfen), am ebenso entspannten gemeinsamen Spaghetti-Kochen auf dem Camping-Kocher, an der Pizza, am Rotwein, am Klettern (wenn es auch nur ein bisschen war) und den anderen beim Klettern Zusehen, am Nichts-Tun, am in der Wiese Liegen und in den Himmel Schauen, am abends ums Lagerfeuer Sitzen bis es zu kalt wurde, an den guten und lustigen Gesprächen, am vielen Lachen und am Balancieren auf der Slackline (auf der ich immerhin schon ca. 10 Schritte geschafft habe).

Vielleicht wird das mit dem Bloggen jetzt auch wieder etwas besser, nachdem hier ja über drei Wochen Schweigen herrschte… Aber die Zeit vor dem Kurzurlaub war sehr anstrengend, die mündlichen Prüfungen in Geschichte haben mir ziemlich zugesetzt, sind dann im Endeffekt aber dennoch sehr gut gelaufen. Bloggen war mir in der letzten Zeit einfach zu viel, keine Ideen, keine Lust, keine Muße und keine Muse. Höchstens bei Twitter habe ich ab und zu 140 Zeichen hinterlassen.

Jetzt habe ich eine kurze Atempause, der nächste Prüfungsmarathon mit drei Prüfungen in Deutsch und vier Prüfungen in Italienisch beginnt ‚erst‘ in knappen zwei Wochen, allerdings folgt dann eine dicht auf die nächste (auch mal drei Tage hintereinander), was bedeutet, dass ich jetzt schon eifrig vorarbeiten muss. Momentan bin ich noch recht gelassen, die Deutsch-Themen machen mir Spaß, da freue ich mich fast drauf und Italienisch wird schon auch irgendwie gehen. Außerdem tröstet die Aussicht, dass am 20. Juni dann alles endlich ein Ende hat, dass dann alles vorbei ist, dass es nicht mehr Monate sind, die da voller Lernerei (und nichts anderem) vor mir liegen, sondern nur noch ein paar Wochen.

Ich habe da schon vor einiger Zeit ein Stöckchen zugeworfen bekommen, von der lieben Chrizzo, welche 5 Lieder ich mit auf die einsame Insel nehmen würde, aber diese Auswahl überfordert mich momentan. Erstens höre ich so gut wie nie einzelne ‚Lieder‘, sondern immer nur ganze Platten (ist ja auch barbarisch, die so aus dem Kontext zu reißen) und es fiele mir insofern sehr schwer, da bestimmte Lieder aus meinen Lieblings-CDs herauszusuchen. Und zweitens finde ich es einfach unheimlich schwierig, denn das ändert sich natürlich von Woche zu Woche, von Stimmung zu Stimmung und überhaupt. Im Moment komme ich ohnehin kaum dazu, richtig Musik zu hören, die dudelt höchstens ab und an im Hintergrund, wenn ich nicht allzu konzentriert sein muss. Also ein schlechter Moment gerade, liebe Chrizzo. Ich hoffe mir wird verziehen. Ganz sicher würde ich die Lieder hauptsächlich aus meinen Klangspielen rekrutieren, aber welche…???