Einhornworte

Einhornworte

Ich gehe raus, ein Einhorn finden, in den Wald natürlich, wohin auch sonst.
Im Vorbeigehen umarme ich ein paar Bäume, lausche dem Taubengurren und starre ins Wimmeln eines Ameisenhaufens. Ich lasse den Wind in mein Haar greifen, folge den Wegen der Rehe, pflücke und esse die gelbe, bittere Blüte des Huflattichs, denn das macht Hoffnung.
Dann setze ich mich auf die Lichtung, wo der Bach über rotbraunes Erdreich und moosig-grüne Steinbrocken plätschert. Die Sonne blinzelt ringsum durch die Blätter und tupft Muster auf den Boden.
So mache ich ein Loch in die Zeit, denn da wohnen die Einhörner.
Ich warte. Tauche ein in den Atem des Waldes.
Mit seinen flaumig-weichen Nüstern berührt es mich zart am Arm. Ich sitze still, während mir das Einhorn sanft in den Nacken atmet. Ich drehe mich nicht um; ich lausche.
Was ich heimbringe aus dem Wald, sind nur Worte. Aber es sind klare, lebendige Worte: Einhornworte.

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Auch dieser Text ist in der Anthologie „Das Einhorn macht keine Kehrwoche“ des Gmünder Autorenkreises erschienen (bestellbar beim Einhornverlag).

Zum Zug kommen

Zum Zug kommen

Sie rannte in Richtung der Gleise, schob sich durch die Menschenmenge, quetschte sich durch, mit ihrer großen Tasche über der Schulter. Eilig warf sie einen Blick auf die Anzeigetafel, um sich zu vergewissern, lief dann schnell weiter.

Da war er: Ihr Zug! Jetzt musste sie nur noch den richtigen Wagen finden, das richtige Abteil. Sie rannte am Zug entlang, wollte sich nicht drin durch den engen Gang pressen, das dauerte zu lang, lief lieber draußen, eilig, ganz hinten erst, wie immer!

Hier blieb sie stehen. Geschafft. Sie blickte auf, die Tür war geöffnet, jetzt musste sie nur noch einsteigen. Sie lächelte. Bologna, was für eine großartige Stadt!

Sie atmete tief ein und drehte sich um. Sie schlenderte zurück, die Tasche über der Schulter. Den Zug entlang, dessen Türen sich schlossen. Zurück in die große erleuchtete Halle mit all den Menschen und dem Lärm, dem wohligen Durcheinander, wieder zur Anzeigetafel.

Dort suchte sie sich ihr nächstes Ziel: Rom, Venedig, Budapest, Hamburg, Paris? In jeden dieser Züge konnte sie steigen, in jeden. Schnell entschied sie sich. Sie lächelte und eilte zu ihrem Gleis.

Was für ein Leben!