Zephir

Zephiro torna, e ‚l bel tempo rimena
e i fiori et l’erbe, sua dolce famiglia,
et garrir Progne et pianger Philomena,
et primavera candida et vermiglia.

Das ist die erste Strophe eines Sonetts meines Lieblingsdichters Francesco Petrarca, Canzoniere Nr.310. Es passt überhaupt nicht zur jetzt herbstlichen Jahreszeit, denn es handelt vom Frühling, vom Westwind, der das schöne Wetter bringt, außerdem Blumen und Gräser, das Klagen der Schwalben und Weinen der Nachtigallen, wobei Petrarca hier den wiedermal blutigen Mythos um die beiden Schwestern Philomela und Prokne aufnimmt. Petrarca bindet diesen allerdings in die Beschreibung eines locus amoenus in der Oktav ein, um diesen mit seinem im Sextett beschriebenen Liebesleid zu kontrastieren. Und alles wegen Laura.

Und deshalb weiß ich, dass es sich bei Zephir oder Zephyr eben um den ‚vento occidentale‘ handelt und nicht etwa um einen südlichen Hauch, mit dem Münchner Föhn gleichzusetzen, wie es uns der Philosoph Adrian Lippe am Anfang seiner Stadtführung durch München-Schwabing vordichten möchte:

Schwabing lächelt leise duch die Zeit,
Ein Stadtteil, der so viele Namen kannte:
Wahnmoching, Münchens schönste Tochter, geistige Hauptstadt, Zustand,
Und jeder dieser Namen war ein Kleid
Für ein Unfassliches, das weit durch diese Straßen weht,
Auf Zephirs Flügeln, der sich bayerisch gern als Föhn versteht.

Das ist nämlich der Einstieg in die Stadtführung zur Schwabinger Bohème, wie sie von Zephir-Events bzw. von Adrian Lippe und Bärbel Harder angeboten wird. Das war es aber auch schon, was ich an Kritik zu äußern glauben musste, alles was jetzt kommt, ist ein Loblied. Die Stadtführung findet jeden Sonntag um 11 in München statt (Treffpunkt ist der Georg-Elser-Platz gegenüber vom Alten Simpl) und man sollte unbedingt hingehen.

Stadtführungen zur Münchner oder Schwabinger Bohème, zum Schwabing der Jahrhundertwende oder ähnlichem, gibt es ja fast schon reihenweise, die Stadtführung von Zephir ist allerdings etwas besonderes: sie nennt sich ‚gedichteter Streifzug durch West-Schwabing‘ und ist größtenteils gereimt! Man könnte dies für eine Schnapsidee halten, an bemüht Gedichtetes von Oma zum Geburtstag oder an mündlich vorgetragen Unverständliches denken, das Erstaunliche hier ist aber, dass es völlig gelingt, die Idee aufgeht. Die Verse von Adrian Lippe, der sich in einen Mann der Jahrhundertwende hineinversetzt, welcher einen jungen, eben in München angekommenen Studenten durch Schwabing führt und über Schwabing aufklärt, sind kunstvoll genug, um nicht unbeholfen und lächerlich zu wirken und kunstlos genug, um nicht manieriert und unverständlich zu werden. Das Zuhören ist das reinste Vergnügen!

Eingeflochten werden aber auch zeitgenössische Verse und Briefe: von Joachim Ringelnatz, Stefan George, Frank Wedekind, Thomas Mann und anderen und gegen Ende gibt es eine Rilke-Überraschung. Keine wichtige Person aus dem Dunstkreis der Münchner Bohème fehlt, angeführt werden vielmehr auch etwas abgelegenere Gestalten wie Kathi Kobus, Anton Azbe, Karl Wolfskehl, Alfred Schuler, Ludwig Klages, Korfiz Holm und Albert Langen.

Und da ich beim Thema Schwabinger Bohème nicht ganz ohne Vorbildung bin und etwa zu Fanny zu Reventlow gearbeitet habe, wage ich noch ein weiteres Urteil anzufügen: die Stadtführung ist nicht nur vergnüglich, sondern auch sehr informativ und – auch das muss man mit Blick auf andere Stadtführungen leider betonen – die Informationen, die man erhält sind korrekt und erfrischend uneinseitig. Natürlich werden da Anekdoten erzählt, aber man bekommt auch – diesmal vor allem durch Bärbel Harder – wichtige historische Hintergründe erläutert, Architektonisches nähergebracht, Verbindungen geknüpft und auch Tiefergehendes mitgeteilt, so weit dies der Rahmen eben zulässt.

Diese Ausgewogenheit wird auch schlichtweg dadurch erreicht, dass es eben zwei Stadtführer sind, die es sich da leisten, verschiedene Rollen zu übernehmen, sich abzuwechseln und es so schaffen, die Balance zwischen anekdotisch-vergnüglich-zeitgeistigem und historisch-informativem zu halten. Und denen es so auch gelingt, die Dinge durch Bilder anschaulich zu machen, zeitgenössische Gemälde, Illustrationen und Fotografien, immer wieder von Bärbel Harder zur Illustration hochgehalten.

Der gute Eindruck verstärkt sich zum Ende hin noch weiter: an der letzten Station, einem hübschen, kleinen Cafè (namens ‚Narrentasse‘) erhält man nicht nur ein Glas Sekt, sondern auch noch ein Informationsblatt, auf dem die wichtigsten Stationen mit einem kleinen Stadtplan, die wichtigsten Persönlichkeiten mit Bild und einer kurzen Beschreibung zur Erinnerung verzeichnet sind.

Also bitte, alle die München und Umgebung bewohnen oder bereisen: einfach am Sonntag um 11 Uhr zum Georg-Elser-Platz in der Türkenstrasse gehen (eine Anmeldung ist nicht erforderlich) und für nur 15 Euro zwei Stunden lang erfreuen und informieren lassen! Oder nochmal hier lesen.

Nachtrag: Ich musste erfahren, dass diese besondere Stadtführung ab dem 30. März 2008 leider nicht mehr stattfinden wird.
 

 
Literaturtips: