F. Gräfin zu Reventlow

So nannte sie sich jedenfalls selbst, dieser Name steht als Autorname auf ihren Büchern. Unter anderem am Titelbild der Erstausgabe ihres Romans Von Paul zu Pedro, im Untertitel Amouresken, von 1912, kann man dies feststellen.

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Deshalb ist der Streit, ob sie nun eigentlich Fanny zu Reventlow hieß oder lieber Franziska (Gräfin) zu Reventlow heißen wollte (manchmal wird sie gar Franziska von Reventlow genannt), eigentlich schon wieder überflüssig. Fakt ist, dass sie auf die Namen ‚Fanny Liane Wilhelmine Sophie Auguste Adrienne‘ getauft wurde, wie sich das für eine Tochter aus einer Adelsfamilie gehörte. Erst als ‚Fanny‘ von Husum bzw. Lübeck nach München kam, wurde Fanny wohl plötzlich von manchen für eine Abkürzung von Franziska gehalten. Während Fanny im Norden englisch-vornehm klingt, nannte man in Bayern höchstens seine Kühe so. Fanny unterschrieb weiterhin mit F. Gräfin zu Reventlow und nur selten mit Fanny, noch bei ihrer (Schein-)Heirat 1911 mit Baron Rechenberg-Linten wird in ihrem russischen Pass allerdings ‚Fanny‘ stehen, ‚Franziska zu Reventlow‘ schrieb sie gar nur ein einziges Mal mit eigener Hand. Trotzdem ist sie als Franziska zu Reventlow in die (Literatur-)Geschichte eingegangen. Das liegt an obigem Missverständnis und daran, dass auch ihre spätere Herausgeberin, ihre Schwiegertochter Else Reventlow, die sie persönlich nicht mehr kennenlernen konnte, den Namen Franziska für passender hielt. Später haben Biographen auch immer wieder behauptet, Fanny selbst habe eine Abneigung gegen den Namen Fanny gehabt, aber das haben sie sich wohl schlichtweg ausgedacht. So schnell kann’s gehen.

Aber Fanny hatte viele Namen und es wurde vieles über sie geschrieben. Eine Aufzählung ist ein wahres Kuriositätenkabinett und durchaus interessant. Ein paar Stilblüten seien hier beispielhaft zitiert: Ludwig Klages nannte sie „eine heidnische Heilige“ und sah in ihr „das Element nordischen Heidentums in unvermischter Reinheit“, für Rainer Maria Rilke war sie die „Madonna mit dem Kinde“. Oskar Panizza nannte sie einmal eine „Amazone“, dann eine „schleswig-holsteinsche Venus“, aber auch „tapferes Voll-Weib“ und spricht sie als „Sie holsteinsches Prinzeßchen, Sie schneeweißes Marzipan-Persönchen“ an. Für Alfred Schuler war Reventlow eine „Sirene“, für Theodor Lessing eine „Lais“ und „Braut von ganz Schwabing“. Für Stefan George spielte sie „die Rolle des Mephisto“ und für Franz Hessel war sie „die Mildeste und Wildeste“. Otto Falckenberg erzählt zusammenfassend: „Sie war die schöne, kluge, große Hetäre, das weibliche Ideal Schwabings, noch dazu ebenso mütterlich wie amourös: die immer ersehnte Synthese von Mutter und Dirne, die Astarte des ‚kosmischen Urschlammes‘, die Wiederkehr des Mutterrechtes.“ Daraus wird auch deutlich, dass sie alle wichtigen Persönlichkeit der Jahrhundertwende in München kannte, dass alle über sie schrieben und an sie schrieben (Rilke steckte ihr etwa jeden Tag ein Liebesgedicht in den Briefkasten, wie traumhaft!).

Aber damit hört es noch lang nicht auf, es geht noch viel weiter, eine Sammlung von verschiedensten Benennungen (insgesamt knapp 60) habe ich in meiner Arbeit ‚Anleitung zum Unbürgerlichsein – F. Gräfin zu Reventlows Roman Von Paul zu Pedro als Spiel mit Genres und Geschlecht‚ im Anhang angeführt, mit Fußnoten nachgewiesen, versteht sich.

Kann man über jemanden wie Fanny überhaupt noch etwas schreiben? Soll man über sie überhaupt noch etwas schreiben, persönlich? Soll man mitmachen bei dieser Polonaise von Benennungen, noch mehr Stilblüten hinzufügen? Und doch: ich habe über ein halbes Jahr nur von ihr und über sie gelesen, über ihr Werk geschrieben, jede Zeile ihres Tagebuchs gelesen, sie ist mir ans Herz gewachsen. Und ich habe mir ein Bild von ihr gemacht, sie bedeutet mir etwas, ihr Foto steht auf meinem Schreibtisch. Natürlich habe ich mir etwas vorgestellt. Dass sie klein war und zerbrechlich wirkte, schmal und hübsch, dass sie lange Kleider trug und manchmal einen Hut. Dass sie die Haare teilweise ganz kurz trug und burschikos und keck wirkte bei ihrer Hochzeit. Dass ich sie sehr gemocht hätte, aber ich mir nicht sicher bin, ob sie das erwidert hätte. Dass sie sehr mutig war und sehr genau hat wissen müssen, was sie wollte: unverheiratet mit ihrem Sohn leben, zur damaligen Zeit ein Skandal. Dass sie unheimlich vieles anpackte und wieder fallen ließ, aber immer wieder die selbe Begeisterung zeigte für Neues. Dass sie gerne reiste, wirklich hart arbeitete, aber dennoch nie Geld hatte. Dass sie großzügig war und unbekümmert, aber zwischendrin auch unglaublich einsam und unglücklich. Dass sie sich in ihrer Schwangerschaft fast umgebracht hätte, ihr Kind dann aber ihr Ein-und-Alles war. Dass sie Männer sehr liebte, aber eben nicht immer nur einen, schön der Reihe nach. Dass sie Schriftstellerin und Übersetzerin war und viel lieber Malerin sein wollte. Dass sie einfach ihren Weg ging und in keine Schubladen passt. Dass sie einfach bewunderungswürdig ist.

Und zuletzt habe ich mir noch unheimlich oft gedacht, wie unverschämt viele Rezensenten, Biographen und sonstige Autoren in ihrem Urteil ihr gegenüber oft waren. Und wie ignorant. Dass sie andauernd nur über ihr skandalöses Leben schrieben und darüber, wen sie alles kannte und im Bett hatte. Dass es ihnen nicht langweilig wurde, darüber zu schreiben. Und warum zum Teufel sie nicht ab und zu öfter in ihre Bücher hineinsahen und einfach lasen, was sie selbst schrieb. Und dass sie einfach nicht anerkennen wollten, dass sie wirklich schreiben konnte. Dass ihre Bücher unheimlich amüsant, genau beobachtet und gut erzählt sind. Und natürlich dass ihre Bücher das sind, was ich in meiner Arbeit zu zeigen versuche: intertextuell verwobene Kunstwerke.

Das alles tut natürlich überhaupt gar nichts zur Sache, was ich mir dachte und vorstellte und ich denke, es ist mir auch gelungen, meine Sympathien und Antipathien aus dieser wissenschaftlichen Arbeit herauszuhalten. Außer vielleicht ein klein wenig beim allerletzten Satz, wo ich schreibe: „Klar ist aber jetzt schon, dass das Bild von Reventlow als unbedarfter, unbelesener und unpolitischer Autorin von autobiographischer Unterhaltungsliteratur, die sie nur mit Hilfe von Männern verfassen konnte, gründlich revidiert werden muss.“ Und natürlich, wenn ich im Anhang Catherina Godwin aufnehme, eine so gut wie vergessene aber ebenso spannende Autorin, die einiges mit Fanny zu Reventlow teilt und 1910 ein Buch mit dem genialischen Titel ‚Begegnungen mit mir‘ veröffentlichte. Später ist Catherina Godwin dann wohl immer mehr in Richtung niedere Unterhaltungsliteratur abgedriftet, mit Titeln wie ‚Hotel der Erfüllung‘ und ähnlichem.
 

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Näheres zu meiner Arbeit über Fanny zu Reventlows Roman Von Paul zu Pedro könnt ihr übrigens hier erfahren und die Arbeit auch herunterladen.

Der Titel ‚Anleitung zum Unbürgerlichsein‘ ist natürlich Paul Watzlawicks ‘Anleitung zum Unglücklichsein’ entwendet, ich konnte ja nicht ahnen, dass er nur ein paar Tage nach Titelfindung sterben würde und fühle mich auch ein wenig schuldig. Mord durch Zitation sozusagen.

Ach ja, und es lohnt sich wirklich, einfach ihre Romane zu lesen, sie sind tatsächlich herrlich komisch: mein Lieblingsbuch ‘Von Paul zu Pedro – Amouresken’ (über Männer, Beziehungen, die Liebe und die leidige Angelegenheit mit Geld und Beruf), ‘Der Geldkomplex’ (sehr amüsante Parodie auf die Psychoanalyse, gibt es auch als Hörbuch; hier auch die Abbildung des Titelbildes der Erstausgabe von 1916), ‘Herrn Dames Aufzeichnungen’ (über das Leben der Bohème in München-Schwabing der Jahrhundertwende) und natürlich ihre Tagebücher. Um komplett zu sein hier auch ihr erster, autobiographischer Roman Ellen Olestjerne, ihr letzter, unvollendeter ‚Der Selbstmordverein‘ (leider momentan nicht einzeln erhältlich), ihre Erzählungen (sehr hübsche Ausgabe, die neben den Erzählungen auch ‚Von Paul zu Pedro‘ enthält) und – der Einfachheit halber – die gesammelten Werke in 5 Bänden.

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Und – ein heißer Tip – Fannys ausgesprochen reizender Briefwechsel mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Bohdan von Suchocki: ‘Wir üben uns jetzt wie Esel schreien’. Dort (im sehr kundigen Vorwort von Jürgen Gutsch) sind auch zwei Schüttelreime von Fanny zu Reventlow zu finden, die ich euch nicht vorenthalten möchte:

Denn wenn ich diese Pfötchen knutsch
gehn meiner Seele Knötchen pfutsch

Man muss nicht so viel Liebe treiben,
dass sich die Triebe selbst entleiben.

Und wer an einer Stadtführung zur Münchner Bohème interessiert ist, um sein Wissen zu vertiefen, der lese hier weiter.

7 Comments for “F. Gräfin zu Reventlow”

kid37

says:

„Mord durch Zitation“, das ist eine hochinteressante These, ich werde das beobachten. (Man kennt das manchmal als Blogger, dieses Gefühl, „Hilfe, ich wurde zitiert!“)

Sprachspielerin

says:

Aus bisher völligem Mangel an Erfahrung (Zitation meiner Texte) kann ich dazu persönlich leider noch nichts sagen. Vielleicht auch glücklicherweise…
Oder man müsste die These vielleicht einschränken: Mord durch ‚unpassende‘, ‚deplazierte‘, ‚verdrehende‘ Zitation, nicht im Sinne des Autors. Dies vermag – wenn nicht zum Tod – doch offensichtlich zu Kränkungen und Erkrankungen (man sagt nicht umsonst, jemand sei ‚verschnupft‘) zu führen…

gf1961

says:

Zum ‚Mord durch Zitation‘ empfehle ich die Lektüre von
SCHMIDT, Arno: Tina/oder über die Unsterblichkeit.

Ob die Dauerhaftigkeit eines Blogzitats in diesem Sinne gefährlich ist, weiss ich nicht, allerdings haben Sie Watzlawick im PDF genannt, das ich soeben ausgedruckt habe …

Sprachspielerin

says:

Eben in meinem Bücherschrank gestöbert: Erzählung befindet sich in meinem Besitz und wird schleunigst nachgelesen! Vielen Dank für den Hinweis!
Über Rückmeldung zu besagter PDF würde ich mich natürlich freuen…

Nachtrag: wunderbar, ich war schon ganz schmidt-entwöhnt… Also nicht Mord, Lebenderhaltung durch Zitation! Offenbar aber ähnlich unangenehm…

Helga

says:

Fanny ist (war) in Bayern und Österreicht eine ganz gängige Abkürzung für Franziska. Nicht nur Kühe heißen so;-)

Sprachspielerin

says:

Ja, das weiß ich schon, das war vielleicht eine etwas überspitzte, polemische Bemerkung… 😉
Mir gefällt ‚Fanny‘ ja ganz gut, aber damals galt es in Bayern (im Gegensatz zum Norden) jedenfalls nicht als vornehm, das meinte ich damit.

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