RAF

Don Dahlmann schrieb mir noch, dass die Autoren der Texte für sein Online-Magazin mindestenshaltbar keinen Lohn erhalten. Aber irgendwie muss man ja schon froh sein, wenn man fürs Schreiben nichts zahlen muss. Man stelle sich das vor: jeder Text 10 Euro oder jedes Wort ein Cent. Wie bei ‚Glücksrad‚.

Jedenfalls bin ich ziemlich stolz und freue mich riesig über meine allererste ‚Veröffentlichung‘, denn meine kurze Geschichte zum Thema RAF mit dem Titel Hinter tausend Stäben keine Welt ist seit gerade eben hier zu lesen. Viel Vergnügen! 


Nachtrag, hier ist noch einmal der komplette Text:
 

Hinter tausend Stäben keine Welt

Schon im Flur hing eine riesige, blutrote Fahne mit der Abbildung Che Guevaras, natürlich. An seiner Zimmertür, eierschalenweiß, dann der ebenfalls blutrote Stern mit der gekreuzten HK MP5. Er sprach es in einem aus, geübt, Maschinenpistolensalve, "raff", während sie zögerlich und nachdenklich Buchstaben für Buchstaben aneinander reihen musste, "R" … "A" … "F". Und über seinem Bett dann schließlich ein Plakat, helleres Rot, handschriftlich mit Edding: "Furchtbar ist es, zu töten. Aber nicht andere nur, auch uns töten wir, wenn es nottut da doch nur mit Gewalt diese tötende Welt zu ändern ist, wie jeder Lebende weiß." Sie bekam Gänsehaut, beruhigte sich erst, als er sagte, dass dies ein Zitat von Brecht sei. Brecht war schon ein halbes Jahrhundert lang tot und harmlos, erst dann ließ sie sich niederziehen auf die Matratze und ließ sich lieben, dort.

Sein Schwanz hart, als er sich von hinten an sie presste. Er packte sie am Haar und sie dachte an seines, dunkel, fast schwarz, an die dichten, buschigen Augenbrauen, die sehr breiten Koteletten, aber am Hinterschädel eine beinahe kahle Stelle schon, jetzt spürte sie seinen Dreitagebart an ihrem Nacken kratzen. Er zog an ihrem Haar, er biss sie in den Hals, drückte sein aufragendes Geschlecht fest gegen ihren Hintern, aber sie dachte an seine strahlenden, blauen Augen, von einer Sonnenbrille verborgen und an seinen geschmeidigen, raubtierhaften Gang. Er ließ sie los, nur um sich seiner eng-eleganten Kleidung zu entledigen, sein Hemd gebügelt, er roch nach Waschmittel, Rasierwasser, Kosmetika. Zog auch sie aus, das Reißen der Stoffe störte ihn nicht, zwischen Leidenschaft und Brutalität, er klapste ihr auf den nackten Hintern. Überhaupt hatte er auch etwas prolliges, etwas von einem Zuhälter, einem Kleinkriminellen, einem Gangsterboss. Er faszinierte sie. Er drang hinten in sie ein, wie ein Tier, es brannte, aber er hielt sie fest an der Taille, seine Fingernägel in ihrem Fleisch, und als er kam, schrie er, laut und kehlig, dass sie beinahe erschrak.

Er war 34 und sie mehr als zehn Jahre jünger. Er beeindruckte und beängstigte sie zugleich. Immer wenn er sich an sie drückte, war sein Schwanz steif. Was auch daran liegen mochte, dass er sich sonst nie an sie kuschelte. Sonst redete er. Er war ein Arsch und ein Angeber. Sie wusste nicht, was er tat, wenn sie nicht zusammen waren. Sie wusste, dass er ihr nicht allein gehörte, aber in seinem Fall machte ihr das nichts aus. Er liebte andere Frauen und andere Frauen ließen sich von ihm lieben, weil er auf seltsame Art anziehend wirkte. Weil er andere sofort betatschte, wenn er mit ihnen sprach, seine Hand auf ihrem Arm, wie er es bei ihr gemacht hatte und weil viele das mochten, wie sie es gemocht hatte. Wenige fanden dies bei dem Mann mit der Raubkatzen-Eleganz zu aufdringlich. Manchmal nahm er sie mit auf Partys und stellte sie als seine Freundin vor, dafür war sie schön und jung genug. Meistens ging er dann auch mit ihr wieder nach Hause. Oft, nachdem er sich maßlos betrunken und daneben benommen hatte, bis sie ihn rausschmissen. Manchmal ging er als Frau, er schminkte sich mit Lidschatten und noch mehr Puder als er sonst verwendete, brachte mit Haarspray seine Frisur in Form. Auf einer Party pisste er mitten auf den Teppich, weil das Buffet leer war und der Gastgeber sich weigerte, nur für ihn Nachschub zu bestellen. Einmal verprügelte er einen Studenten, weil der sie angesprochen hatte. Er redete viel und gern, ob er betrunken war oder nicht. Er gab sogar vor ihr an mit seinen Frauengeschichten. Und mit Autodiebstählen.

Manchmal holte er sie ab, in einem neuen Wagen, einem Alfa, einem weißen Mercedes, einem lila Porsche, sie fragte nie, sie sagte nie etwas, wenn sie nachts viel zu schnell durch die Stadt rasten. Das Rasen gefiel ihr, die Ledersitze gefielen ihr, er gefiel ihr, mit der Sonnenbrille hinter dem Lenkrad in der Nacht. Gemeinsam ergab das ein Prickeln und Ruckeln unter ihren Schenkeln, das Vibrieren der Autositze erregte sie, durch das fliegende Auto übertrug sich seine Potenz auf ihren Schoß und wenn sie aufstand, nach dem nächtlichen, ziellosen Schnellen durch die Stadt, dann waren die Ledersitze manchmal feucht von ihr.

Sie wusste wenig von ihm, darüber sprach er selten. Sie wusste, dass sein Vater Historiker oder Archivar oder etwas ähnliches gewesen war und seine alleinerziehende Mutter Sekretärin, dass er keinen Schulabschluss hatte, weil er immer wieder geflogen war und das glaubte sie sofort. Sie wusste nicht, wovon er lebte, einmal erzählte er etwas von Schlafwagenschaffner. Richtig arbeiten ging er wohl nicht. Irgendwo hing ein Foto seiner Tochter, er hatte sie lange nicht gesehen, kein Vater, er. Worüber er sonst redete, wusste sie ebenfalls nur ungenau, sie konnte ihm da nicht immer folgen und sie wusste auch nicht, ob sie es wollte. Es fielen Begriffe wie Gesellschaft, Kapitalismus, Faschismus, Revolution, Terrorismus, Gewalt und Bullen, Schweine, Arschlöcher und Fotzen. Er sprach vulgär, bemüht vulgär und ereiferte sich, mit weitausholenden, vereinnahmenden, manchmal bedrohlich wirkenden Gesten, blitzenden Augen und tiefer Stimme, dazwischen ein zynisches Lachen. Sie mochte seine Stimme, sie mochte das Glühen in seinen Augen, wie bei einer vom Scheinwerferlicht angestrahlten Katze. Seiner Stimme lauschte sie, wenn er sprach, seine Worte vergaß sie darüber. Seine Worte kamen ihr nur entfernt bekannt vor, ihr Vater benutzte manchmal ähnliche Begriffe, wenn er von früher erzählte und davon, wie Ohnesorg damals erschossen worden war. Von ihm kamen diese Worte mindestens dreißig Jahre zu spät, er war zu spät. Und er war schon zu alt, um jung zu sterben, als Rebell, als Legende. Seine wütenden Worte blieben ohne Konsequenzen, dahingesagt, wie viele andere Worte. Er drehte sich nur im Kreise, wie ein Tier hinter Gittern, der Bezug zur Welt war ihm verloren gegangen.

Manchmal blieben sie auch einfach zu Hause bei ihm, sie vögelten, sie hörten Janis Joplin, rauchten, sie tranken viel Bier oder weißen Rum, er redete, er las Comics, Asterix, während sie schlief, sie sahen sich die "Schlacht um Algier" auf Video an, sie fickten wieder oder machten irgendein Tiefkühlgericht im Backofen warm. Sie sah ihm zu, wie er mit seinem Tigergang durch die Wohnung schlich, weich und kraftvoll, sie hörte ihm zu, wenn er sprach wie ein Irrer mit schöner Stimme und wildem Blick, sie spürte seine Bewegungen wie die eines Raubtiers in sich. Sie mochte seinen Körper, sein hübsches Gesicht, seinen muskulösen Torso, die Sicherheit, die ihm sein Körper gab, das Blitzen in seinen Augen und die Selbstverständlichkeit seines Selbstbewusstseins.

Einmal wollte er auf eine Party gehen und sie hatte keine Lust, keine Lust, ihm wieder dabei zuzusehen, wie er einen Skandal machte. Sie weigerte sich. Er begann zu reden. Er machte ihr die absurdesten Vorwürfe, er beschimpfte sie, er redete sich selbst in Wut, drehte sich im Kreise, er wurde lauter, er schlug auf die Matratze neben ihr und sie bekam Angst vor ihm und dem wilden Blitzen in seinen Augen, das sie gemocht hatte, vor den Muskeln, die sie bewundert hatte. Sie stand auf und wollte gehen, sie hatte ihm nichts zu sagen. Da sprang auch er auf, plötzlich, tigergleich, packte sie, drückte sie fest, hilflos, er wollte nicht, dass sie ging, und er biss zu, in ihre Nase, bis es blutete, wie ein hungriges Tier. Dann ging sie trotzdem. Sie wollte ihn nicht wiedersehen.

Zwei, drei Monate vergingen, sie hatte jetzt einen neuen Freund, einen richtigen, einen netten, der sie gut behandelte, sie war glücklich. Doch er fragte sie, ob sie sich nicht wiedersehen könnten, einmal, er wolle sie in die Oper einladen. Sie sagte ja. Er holte sie ab, in einem neuen Wagen, ein blutroter Alfa Romeo und sie fuhren viel zu schnell zur Oper. Sie sagte nichts. Sie saßen in der Königsloge, erste Empore, genau in der Mitte, er hatte keine anderen Karten mehr bekommen, sagte er, sie wusste nicht, was sie dazu hätte sagen können, es gefiel ihr. Die Oper war schön und rührend, wie Opern sind, und sie hatte noch Tränen in den Augen, als sie wieder in den blutroten Alfa stieg.

Stille, nur das Geräusch des Motors und des viel zu schnellen Rollens der Reifen auf der Straße. Dann begann er zu reden. Er habe eine fixe Vorstellung gehabt während der Oper, unablässig habe er daran denken müssen. Er habe sie  nehmen und über die Brüstung der Königsloge lehnen wollen, habe ihr das Kleid heben und hinten in sie eindringen wollen, vor all den Leuten, mit musikalischer Begleitung, habe sie zum Stöhnen bringen wollen an diesem Ort. Er wusste, dass sie einen neuen Freund hatte. Sie sagte nichts. Er fuhr noch schneller, nervöser, sie wusste nicht, wohin. Er sah sie nicht an, er sah durch seine Sonnenbrille starr auf die Straße. Sie spürte seine Anspannung und Wut, seine Unberechenbarkeit und seinen Wahnsinn, übertragen durch die Ledersitze des Alfas und sie hatte Angst. Er war wie ein Raubtier hinter Gittern, um sich selbst kreisend, gefährlich, kurz vor dem Ausbrechen. Sie schüttelte nur den Kopf, "Nein", sagte sie, "nein." An einer Ampel stieg sie aus, mitten in der Stadt, mitten in der Nacht. Sie sah Andreas nie wieder.

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